Dienstag, 17. Juli 2012

Der Sexbotschafter

Also wie das ging, dass ich in Panama auch noch zum Sexbotschafter wurde, das nimmt Dich bestimmt wieder am meisten wunder.

Kurz hellt es auf bevor es volle
Kanne runterprasselt
Wie ich da in Casco Viejo, dem Altstadtteil von Panama City so herumspaziere, beim Plaza de Francia, da zieht ein gehöriges Gewitter über die Stadt herein. Anfänglich bläst ein scharfer Wind. Doch schon bald prasseln zuerst nur vereinzelt, dicke, schwere Tropfen vom Himmel. Die Indios fangen an ihre kleinen Souvenir-Stände zusammen zu packen und auch die modern times Hippies mit ihren verfilzten Haaren und den Henna Tattoos rollen ihre Tücher mit dem selbst gebastelten Schmuck ein. Tief sitzen die Jeans, weiss ist der Gürtel und pinkig das T-Shirt und so rennt auch das Schwulenpärchen mit den vollgelten Haaren nach Deckung als es anfängt aus vollen Kübeln zu giessen. Tropisches Donnerwetter, genauso wie Du Dir das vorstellst.

Ein Blick ans Monument aus unserem
Unterschlupf
Eine zusammengewürfelte Gesellschaft findet sich so unter der Terrasse des Monumentes am Plaza de Francia. Die Indios, ihre Kunsthandwerkssachen in die, von hartem Gebrauch zeugenden, roten und schwarzen Rollkoffer gepackt, darauf die blauen Plachen zusammengeknüllt, sitzen sie an den Wänden, eine routinierte Prozedur scheint es für sie zu sein, ruhig und ohne Worte sitzen sie da und warten, sie sind sich sicher der Himmel wird sich bald wieder auftun und der Sonne Platz machen. Das teenage Liebespärchen, wo er auch unter dem Dach noch stetig versucht sie mit dem vom Wind gebeutelten Regenschirm zu decken, was ihr zusehends auf den Wecker geht, das besagte Latino Schwulen-Pärchen hat auch unters Dach gefunden, der eine den andern bittet zu checken ob seine gestylte Frisur noch sitzt, mit den flachen Händen zieht er seine Haare über dem Kopf gen' Himmel, so dass sie dann vorne in einem Spitzchen über seiner Stirn glänzend hochstehen, sein Lover bestätigt mit einem verliebt lächelnden Kopfnicken, dass die Friese wieder passt. Der einheimische Strassenmusikant hat sein Banjo hastig in eine abgeschabte textile Instrumententasche gesteckt und nimmt die Sache mit der stoischen Ruhe der Indios. Auch das englische Hippie Pärchen ist hier und erstaunlich cool geben sie sich gegenüber allen anderen die da unterm Dach stehen, ich gab mich immer der Illusion hin die Filzhaar-Henna-Tattoo-Typen seien so offen und tolerant. Peace-Love-Happiness sozusagen, die zwei scheinen eher arrogant als tolerant - komisch, sehen sie die Indios und die Musikanten als ihre Konkurrenten im Kampf um der Touri's Münzen? Der Fruchtsaft Mann hat seinen aus Aluminium und Chromstahl Blechen zusammen genieteten Wagen auch unter Dach gefahren, mit einer Raspel schabt er Eis von einem grossen, ca. 50 x 50 Zentimeter messenden Eisblock, den er unter einer passenden verchromten Haube zum Vorschein zaubert, aus einem Glas schüttet er klein gehackte Fruchtstücke in einen Styroporbecher, gibt das geschabte Eis dazu, mit den Zähnen zieht er den Korken aus einer braunen Flasche aus der nun, rötlicher, vermutlich Melonen Saft in den Becher fliesst, ein paar Münzen werden gegen den Becher getauscht und eine hübsche, junge Frau zieht genüsslich am Strohhalm während sie zurück zu einer in drei kleinere Gruppen aufgeteilte Bande von johlenden Teenagern kommt. Sie haben zusammengerollte kleine mit schwarzen Buchstaben bedruckte Transparente. Mit denen machen sie allerlei an Kapriolen, zu einer Tüte gerollt wird daraus ein Megaphon in das ein schlaksiger Junge immer wieder die gleichen Sprüche trällert, ich versteh nicht was er sagt, aber es muss lustig sein, die ganze Gruppe der Jungen lacht schallend, was ihn anheizt mehr und mehr seiner Sprüche zum Besten zu geben. Es dauert nicht lange und zwei weitere Burschen tun ihm gleich und schon singen die drei gemeinsam in ihre Tröten. Neben ihnen haben sich drei Mädchen aufgestellt die alle denselben Tanz aufführen und alsbald von einem vierten Gesellschaft bekommen, es scheint ein Pop-Song zu sein den die drei da singen und ich muss sagen wie die hübschen, kurvigen, Latino-Mädchen da so spontan tänzeln sieht echt gut aus und auch die Burschen singen ganz ordentlich. Mitten im Song scheinen sie abzubrechen und alle lachen schallend, die singenden Burschen ein bisschen verlegen, die Mädchen noch ein bisschen verlegener.

Es giesst
Hinter mir stehen drei Frauen und ein junger Bursche, deren Zugehörigkeit zur Gruppe ich erst jetzt checke, sie lachen herzlich mit den Jungen, ich dachte zuerst es sei Tochter und Sohn mit Mutter und Grossmutter. Auf jeden Fall kommt das Mädchen dieser vierer Gruppe auf mich zu und fragt mich, ob ich mit ihr für ein Foto posieren würde, alle anderen Lachen laut auf und dem Girl schiesst die Röte in die Wangen. Erst recht sage ich zu, sie stellt sich dicht neben mich, ich lege meinen rechten Arm kumpelhaft auf ihre Schultern, sie guckt zu mir rüber und strahlt, dann legt sie ihren linken Arm genauso auf meine Schulter und ich helfe ihr, ihr bedrucktes Papier quer vor uns aufzuzeigen, während der Bursche und die Frauen Fotos machen. Schon wieder wird das arme Mädchen rot, wie ich sie frage, was denn da auf dem Papier stehe und für was ich mich gerade einspannen hätte lassen. Blitzschnell rollt sie es zusammen und verweist mich auf die Frau, etwa in meinem Alter die in der Gruppe stand, die, die ich für die Mutter hielt. Sie kommt sofort auf mich zu und erklärt mir um was es geht. Fragt mich woher ich komme. "Dios mio!" entfährt es der älteren Dame die sich immer schmunzelnd im Hintergrund hielt, als ich sage ich komme aus der Schweiz. Die Frau in meinem Alter fragt, ob ich nicht mit ihr für ein Video posieren würde, verstehst schon so von wegen internationalem Support für ihre Sache, die sie mir kurz aber ausführlicher während dem Video erklärt. Die zwei Frauen arbeiten mit einer ganzen Gruppe von Jugendlichen zusammen an einer Petition mit der sie für Sexual-Unterricht in den Schulen kämpfen wollen. Die Frau erklärt mir vor laufender Camera, dass es in Panama eine hohe Anzahl an Mädchen gibt, die bereits in der Schule schwanger werden, oft sind die Typen leider dann schon über alle Berge, für die Mädchen heisst das, dass die Schule frühzeitig zu Ende ist, ohne Abschluss oder Studium sind ihre Chancen dann später gering. Selbst wenn die Burschen zu ihren Mädchen stehen, sind sie selbst noch in der Schule und haben kaum eine Möglichkeit für die Familie zu sorgen, was wiederum zusätzliche soziale Spannungen in der Familie verursacht da dann meist die Grosseltern des entstehenden Kindes in die Breschen springen müssen. Ich höre interessiert zu lächle ab und zu in die immer blinkende Video Camera, in meinem Kopf sammle ich meine Brocken Spanisch zusammen, rechne damit jeden Moment gefragt zu werden, wie denn das in der Schweiz sei. Ich überlege, dass ich eigentlich selbst nie Sexualkunde Unterricht hatte, ich glaube mich zu erinnern, dass wir das einst auf dem Stundenplan hatten, aber mein Oberstufenlehrer damals war so eine Pfeife, dass er sich eben drückte uns irgendwas davon zu erzählen. Während ich mich im Kopf schon für meinen Auftritt vorbereite erzählt die Frau weiter: Noch viel schlimmer natürlich die ganze Sache mit Sexualkrankheiten und HIV, weit verbreitet in Zentralamerika wissen die jungen Erwachsenen wenig Bescheid darüber, in den schlimmsten Fällen kommt noch häusliche Gewalt, vor allem an den Mädchen dazu. Und nur wenn die jungen Menschen darüber informiert würden und es Bildung spezifisch in diesem Fach,  genauso wie Sprache, Rechnen und Geschichte gäbe, könne etwas für die Verbesserung getan werden. Ob ich nicht mit meinem Zustimmen die Petition unterstützen würde, natürlich, ich bejahe und nicke, ein bisschen stocken mir die Worte eh im Hals, nicht nur wegen Spanisch auch wegen dem bedrückenden Thema. Die Frau bedankt sich mit einem Händeschütteln, das Lichtchen an der Video Camera geht aus. Das eben noch rot angelaufene hübsche Mädchen steht gerade und stolz neben mir, schliesslich war sie es, die den Fremden ansprach und für die Sache bewegte. Erst hatte die Gruppe von jungen noch gelacht, jetzt fängt einer der Jungs an zu Klatschen und schon bald klatscht die ganze Gruppe mit. Stolz ist sie, mit Recht und schon wieder schiesst eine Verlegenheitsröte in ihr Gesicht - und fast glaube ich, sie ist nicht ganz alleine. Einige der Jungs kommen und schütteln mir die Hand. Auch die ältere Frau kommt, sie guckt mir tief in die Augen sagt kein Wort, nimmt meine Hand und legt beide ihre Hände darum und schüttelt sie kurz und kräftig.



Der Himmel zieht auf, noch tropft es von den Bäumen die sich auf dem nassglatten Kopfsteinpflaster spiegeln. Ohne Worte löst sich die kleine Gruppe die sich für eine knappe Viertelstunde unfreiwillig vereint unter ein und demselben Dach fand so schnell wie sie sich gefunden hat wieder auf. Auch ich stapfe mit den ersten Menschen hinaus - noch nicht ahnend wie lange mir Worte, Gesten und Händeschütteln dieser kurzen Begegnung im Kopf herum spooken werden.  

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