Samstag, 31. Januar 2015

Grimaldi Tag 19: Dakar

5. Dezember 2014: 


Schon kurz vor dem Frühstück steige ich hoch auf Deck 13 um runter zu schauen, was da unterdessen alles so passiert ist. Tatsächlich erkenne ich einige der Lastwagen und Feuerwehrautos auf dem Dock, die wir in Santos zugeladen hatten. Nach dem Frühstück bin ich gleich wieder oben auf Deck und verfolge das Treiben unten am Hafen. Irgendwie läuft hier sehr viel kreuz und quer, habe ich den Eindruck. Viele der gebrauchten Wagen scheinen bewegt zu werden. Andere werden gestossen, generell herrscht eher ein bisschen ein Chaos auf dem Dock, es gibt offensichtlich zu wenig Platz. Draussen vor dem Eingang in den Hafen sehe ich zwei Autotransporter stehen, es wird aber später Abend, bis diese mit je sieben der weissen UN Ford SUVs beladen aus dem Hafen rollen. Das gibt immer hin ein wenig Platz.


Über Mittag läuft nichts. Überall haben sich die Hafenmitarbeiter irgendwohin zurück gezogen, auf einer leeren Palette oder einem ausgebreiteten Stück Karton haben sie sich zum Mittagsgebet zurück gezogen, die Schuhe sind säuberlich neben dem Karton platziert, die Füsse gewaschen und alle sind sie egal wo und wie versteckt sie auf dem Dock verteilt sind, gleich ausgerichtet. Stehen, knien, vornüberbeugen und alles nochmal und wieder und wieder. Richtung Mekka beten scheint auch gleich das tägliche Fitness Programm mit einzuschliessen.



Am späteren Nachmittag entdecke ich zum ersten Mal zwei Frauen unter den vielen Hafenarbeitern, auch sie tragen orange-gelbe Leuchtwesten, sind aber in knöchellange, bunte Kleider gehüllt, der blaue Bauhelm erspart ihnen wohl eine Kopfbedeckung zu tragen. Sie scheinen eine administrative Aufgabe zu haben und sind zackigen Schrittes, jede an einem ganz anderen Ort des Docks, mit ihren Clip-Boards unterwegs und nehmen irgendwelche Daten von den parkierten Fahrzeugen auf. Nicht anders als sonst wo auf dieser Welt, drehen sich die Männerköpfe alle in ein und dieselbe Richtung  wenn die Frauen in ihren langen Roben an ihnen vorbei zu schweben scheinen.






Vorne auf dem Loading-Deck vor der Brücke werden eifrig Container, ab-, auf- und umgeladen. Irgendwie lässt sich schwer eine System erkennen wie das hier alles abläuft. Eindrücklich aber wie die afrikanischen Hafenarbeiter auf den Container-Liftern mitfahren, als wär’s ein Personenlift. Einem schweizerisch korrekten Unfallversicherungsexperten würden die Haare zu Berge stehen, ob dem leichtfertigen Auf und Ab, Hin und Her und den Arbeitern die sich zwischen den Containern befinden wenn der nächste schon über ihnen am Kran baumelt. Am Nachmittag kommt die Arbeit auf dem Container Deck zum Erliegen. Liegen tun auch die lokalen Dockarbeiter, rumliegen, auf dem Deck. Dagegen arbeiten die Grimaldi Leute in ihren schwarzen Overalls hektisch daran den Kran wieder in Stand zu stellen.  Nach dem Abendessen liegt eine grosse Stahlseilrolle auf Deck 13 und der Kran hat seinen Arm einer müden Giraffe gleich auf Deck gesenkt. Bevor ich mich ins Bett haue gehe ich nochmals hoch auf Deck, unterdessen ist das Stahlseil von der Rolle und in einer endlos scheinenden Schlange erstreckt sich das 4 cm dicke Kabel in grossen Bogen über Deck 13. Vorne wo der Kran ist wird gearbeitet, geschmirgelt, Funken sprühen einem Feuerwerk gleich in die feucht-schwüle Nacht, es wird geschweisst. 













Das blue truck Weekend-Rätsel ist zurück!



Liebe blue truck Blogleserein, lieber Blogverfolger. Hast Du das blue truck Weekend-Rätsel vermisst? Oder hast Du langsam genug vom über den Atlantik schippern? Hier ist die Lösung für Dich.

Ein neues blue truck Bilder-Rätsel!

Was ist das?

Viel Spass beim Raten und ein schönes Wochenende!

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Grimaldi Tag 18: "What you want? - Want Girl?"..

4. Dezember 2014: In der vergangenen Nacht schaukelte sich das Schiff spät nachts einmal ordentlich auf, das eine oder andere Ding in unserer Kabine hat sich lautstark zu Boden gestürzt. Was für ein Segen, diesen Up-Grade bekommen zu haben, denke ich wie ich durch das Kabinenfenster, welches eben der gewichtige Unterschied ist mit dem uns der Up-Grade segnete, in den frühen noch beinahe dunklen Morgen schaue. Weit entfernt kann man schwache Lichter an Afrikas Ostküste erkennen. Die sich kräuselnden Wellen sind ganz und gar verschwunden und auch die endlosen, langgezogenen Schwünge, die die Meeresoberfläche wie ein unendlicher fliegender Teppich erscheinen liessen haben sich gelegt.


Wie beiläufig beim Hinausgehen nach dem Frühstück erwähnt der, einmal gesprächige wie ein Buch und einmal verschlossene wie ein Tresor, Kapitän, dass wir gegen Mittag in Dakar ankommen sollen. Dakar hat unter den Grimaldi Reisenden einen sprichwörtlich schlechten Ruf. Hier soll es sein, wo ein Afrika eigenes Chaos am Hafen herrschen soll. Falsche mit Leuchtwesten und Helm bestückte schwarze Männer, sollen sich nicht von den richtigen und echten Hafenarbeitern unterscheiden lassen und ein undurchschaubares Kuddelmuddel von Kommen und Gehen soll den senegalischen Hafen auszeichnen. Hier soll es sein, wo die Grimaldi Schiffe gerne mit einem Wohnmobil an Bord, dessen Fenster aufgehebelt wurde oder deren Werkzeugkiste sich auf sonderbare Weise geleert hat, wieder in See stechen. Trotzdem freue ich mich. Es wird sicher spannend und gibt willkommene Abwechslung nach den Tagen auf offener See. Wir einigen uns unter den Passagieren, nochmals runter zu den Fahrzeugen zu gehen, ich verschliesse die Seitenscheiben, welche ich zwecks Lüftung einen klitzekleinen Spalt offen liess, checke alle Spanngurten und überprüfe, dass auch sicher alles verschlossen ist. Dann steigen wir wieder hoch auf Deck 12. Unterwegs zum Mittagessen scheint mir schon, der Kahn habe seine Geschwindigkeit markant gedrosselt.

Nach dem Mittagessen oben auf Deck 13, weiss Olivier, der irgendwie immer alles weiss, dass unser Dock zur Zeit noch besetzt ist von einem anderen grossen RoRo Schiff, dass gar von hier aus, mächtig nur von den grössten Häuser der Stadt überragt zu sehen ist, blockiert sei. Zum ersten Mal auf diesem Trip schnellt der 17 Tonnen schwere Anker in die Tiefe. Sicher bin ich mir nicht, ob ich die Kette wirklich rasseln höre, oder ob ich es mir nur des Ankerprozesses bewusst, einbilde. Während die Hilfsmotoren hochlaufen und der Hauptmotor runter gefahren wird, steuern schon kleine bunte Schiff von weither mit Kurs auf uns über die riesige Bucht. Meist von drei Schwarzen besetzt. Darf man überhaupt noch Schwarze schreiben? Also in Amerika sind das ja politisch korrekt Afroamerikaner, ist dann ein Schwarzer in Afrika ein Afroafrikaner? Aber das ist ja dann eigentlich Pleonasmus, hätte mir bestimmt mein Lehrer Widmer damals in Unterkulm im Aufsatzheft mit rotem Filzer an den rechten Seitenrand korrigiert. Ist ja egal, Du weisst was ich mein‘. Da sitzen eben drei Männer im Boot und weiss sind sie nicht. Einer steuert das schmale einbaumartige Schiffchen am pfudernden Aussenborder, einer hockt in der Mitte über einer Styropor-Kühlkiste und der Dritte, sozusagen der CSO, Chief Safety Officer, sitzt vorne im Bug und schöpft mit einer abgeschnittenen Pet-Flasche laufend Wasser aus dem anscheinend nicht durchgängig dichten Boot, oder sind es einfach die Wellen, die das Bötchen nach und nach mit salzigem Nass belasten. Von hier oben über 30 Meter über der Meeresoberfläche und auf einem 34 Meter breiten und 214 Meter langen Kahn, erscheint die See ruhig, wie ich die Burschen in ihren Einbäumen hin und her, auf und ab schaukeln sehe relativiert sich allerdings der Begriff der ruhigen See. Das erste dieser bunten Schiffchen peilt den Bug der Grande Francia an, als ob die Wellen den Burschen im Einbaum das Leben nicht schon schwer genug machen würden, steht der Typ in der Mitte, nach einem Griff in die Styropor-Box auf und winkt wild mit zwei Fischen, die sie anbieten. Vorne beim kleinen Balkon auf dem ich selbst vor ein paar Tagen noch, während der Schiffstour stand, schaukelt das kleine Schiff auf und ab sie bieten der Besatzung der Grimaldi ihre Fische an. Draussen auf Deck stehend gucke ich aufs Meer Richtung Dakar, ein anderes dieser bunten Schiffchen mit ihrer Dreier-Besatzung peilt direkt auf mich zu und verlangsamt seinen Speed, der Typ am Ruder bringt das kleine Schaukelnde Ding rund 30 Meter unter mir beinahe zum Stehen. „What you want?“ ruft einer mit afrofranzösischem Akzent aus vollem Hals die Schiffswand hoch. „Nothing – Thank you! Rien, merci!“ rufe ich runter. Er wieder: „What you want? – Fish? – What you want? – Girl, want Girl? – Alcohol, want Alcohol? – Want Girl, Girl?” – “Thank you, nothing, good luck!” rufe ich wieder runter. “What you want?” Ich gebe keine Antwort mehr und zieh mich schon mal ein bisschen von der Reling zurück. Das Schiffchen steuert auf das Heck zu, wo die Philipinos unterdessen am Fischen sind. Kurze Zeit später knattert der besagte Einbaum weiter in Richtung eines grossen Container Schiffes, das etwa zwei Kilometer hinter uns vor Anker liegt.

"What you want?"

"Want fish?"

Bis am späteren Nachmittag ist es ein Kommen und ein Gehen, der bunten Boote, dann qualmt es aus dem grossen dicken Schornstein und das Wasser hinter der Grande Francia kräuselt sich wild und formt kleine, weiss beschäumte Wirbel. Der Anker reisst sich aus dem schlammigen Untergrund und die siebzehn Tonnen werden eingezogen, ein Wolke trüben, dreckigen Wassers verfärbt die Wogen vor unserem Schiff, dann setzen sich die vielen Tonnen langsam in Bewegung Richtung Hafeneinfahrt. 
Der Pilot braus heran...

...und kommt an Board und schon...

...saust sein "Taxi" wieder davon.

Erst kurz vor den Hafen Mauern schaukelt ein kleines, schwarz qualmendes Boot Richtung des Grimaldi Kahns, es Bedarf zwei, drei Anläufe, bis der Lotse die Strickleiter schnappen kann und sich vom wild auf und ab tobenden kleinen Boot an Bord der Grande Francia hochangeln kann. Das mit Pilot P14 gekennzeichnete Boot steuert sofort weg und zurück Richtung Hafen, die Piloten Leiter verschwindet sofort wieder im inneren unseres Ozeankreuzers, der sich nun gemächlich in den grossen Hafen von Dakar bewegt. Ein Tug, ein Schlepper, nähert sich mit unwahrscheinlich dreckigem Qualm aus seinem Auspuff und einem Geknatter, das ganz ähnlich tönt wie als ich den 4.2 Liter Diesel des Toyotas mal ohne Auspuff laufen liess. Das Tau des Schleppers wird an Bord genommen und auf der Grande Francia verschlauft. Zuerst gibt der Schlepper ein wenig Seil und schaukelt in den Wogen weg vom Schiff, dann heult der Motor auf, das Schiff qualmt, die Winde spannt das Seil, ich bin erstaunt, ich denke mir noch, eigenartig, die Afrikaner verwenden ein Stahlseil, das gibt doch gar nicht nach, wie eines der typischen Kunstseil Taue die wir sonst überall gesehen haben. 
Erster Versuch


Zweiter Versuch


Der Schlepper zieht mit heulenden Triebwerken am Schiff, ein Knall und die stahlseilerne Verbindung zwischen Schlepper und Grande Francia fliegt einem wild gewordenen Gartenschlauch ähnlich, durch die Luft. Der Kapitän und die italienischen Offiziere draussen auf der T-Brücke der Grande Francia lachen, dann führt der Kapitän sein Walkie-Talkie vors Gesicht. Neuer Versuch, dies Mal angelt sich der Matrose an Deck des Schleppers mit einer Aluminiumstange das Tau der Grande Francia und verknüpft es an Bord des Schleppers. Dieser Operation ist mehr Erfolg beschieden. 

Einfahrt...

...ans Dock in Dakar, Senegal.

Vorbei an einem Dock in dem schon ein grosses, rot-weisses RoRo Schiff steht, werden wir sicher und langsam an unser Dock manövriert. Das Dock schein übersät mit Fahrzeugen und Containern. Ein Unmenge gebrauchter Lastwagen, Baumaschinen und Personenwagen sind dicht an dicht geparkt, viele sind mit so dickem, dreckigen Staub bedeckt, dass sich ihre Farbe kaum mehr erkennen lässt. Dazwischen erkenne ich aber auch eine ganze Gruppe neuer, grüner Mercedes Sattelzugmaschinen. An einem anderen Ende Reihen sich viele, neue schneeweise Lastwagen verschiedener Modell und Hersteller aneinander. Einige tragen ein grossen UN auf der Seite und auf dem Dach, andere sind nicht gekennzeichnet. Vor allem erstaunt es mich einige Mercedes Modelle aus den 80er Jahren zu sehen, die aussehen als wären sie brandneu, mit schönen, glänzenden weissen Plachenverdecken und mit ebenso neu aussehenden kleinen Einachsanhängern am Haken. Spannend, was da alles rumsteht, nur, sonderlich viel Platz scheint es am Dock nicht zugeben. Die grosse Klappe der Grande Francia steht schon eine ganze Weile offen, aber passiert ist bis dahin noch nicht viel. Wir gehen Abendessen.
Wenig Platz,...

...viel Neues...
...scheinbar Neues...

...vor allem aber viel Gebrauchtes...

...am Hafen in...

Dakar.




Zurück an Deck, bin ich erstaunt, wie ruhig und gesittet es hier am Hafen zu und her geht. Bis die Nacht sich über den Hafen und unser Schiff legt ist noch nicht viel vom sprichwörtlichen afrikanischen Tohuwabohu zu sehen.    


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Sonntag, 25. Januar 2015

Grimaldi Tag 17: Mitten im Dezember Gedanken an August

3. Dezember 2014: Wie jeden Tag geht der Wecker kurz nach 7:00 Uhr los. Ein Blick aus dem Fenster lässt schon jetzt erahnen, dass die Tage nördlich des Äquators kürzer und kürzer werden. Gespenstisch hängt der fast volle Mond in den Wolken, dumpfes Dämmerlicht lässt mich wissen, dass die Sonne zwar bestimmt auf der anderen Seite des Schiffes im Osten kommen wird, aber aufgegangen ist sie noch nicht.



Es wird ein windiger, aber sonniger Tag auf der noch jungen Fahrt auf dem nun - jetzt - Nord-Atlantik. Das Wetter ist warm und die Luftfeuchtigkeit hoch. Das Meer kräuselt sich in weissen Schäumchen über den Wellen, gleichzeitig wellt die ganze Meeresoberfläche in langen grossen Wellen, die sich aber nicht zu überschlagen vermögen und die Grande Francia sich in langatmigen Nickbewegung darüber weg pflügen lässt. Kleine Gruppen fliegender Fische zischen über die Bugwellen um der Grande Francia zu entkommen. Einmal kann ich einen grossen Rochen entdecken, der für einen Moment beinahe mit den rund 30 km/h der Grimaldi mithalten kann, dann wird es ihm zu bunt und er taucht links weg und verschwindet in der tiefen Bläue des Nordatlantiks. Interessant, ich dachte immer so weit draussen auf offener See gäbe es nicht mehr allzu viel Meeresgetier. Ich erinnere mich, wie wir noch vor der Küste Brasiliens oben auf der  Brücke waren der Radar im Sog des Schiffes ständig irgendwelche Objekte anzeigte, einer der Offiziere erklärte mir, das seien grosse Fische, die in der Welle mitschwimmen würden, tatsächlich konnten wir damals auch einen grossen Fisch, einer Mischung aus Delphin und Hai ähnlich, in den Wellen springen sehen. Ansonsten hielten sich die Tiere aber in ihrem Element, unter Wasser. Ich frage mich ob das wohl jetzt hier draussen fast mittig zwischen dem amerikanischen und dem afrikanischen Kontinent immer noch so ist, dass der Radar unsere tierischen Verfolger laufend erfasst.

Eine ruhiger Tag, den ich fast ausschliesslich draussen verbringe. Das Meer, obwohl ein ganz anderes Element, hat für mich etwas gemein mit einem offenen Feuer, genauso wie ich Stunden in mein Camp Feuer oder in ein offenes Kaminfeuer blicken und verträumt meinen Gedanken oder Zukunftsideen nachhängen kann, kann ich das auch mit dem Ozean. Wie das Feuer ist auch das Wasser rastlos und ständiger Veränderung unterworfen, zu jeder Tagestunde und mit wechselndem Wind und Wetter verändert sich seine Farbe von tiefblau zu allem möglichen grün bis hin zu Grautönen, einmal in kurzen wilden Wellen aufschäumend einmal in langen gewaltigen Frequenzen scheinbar bebend, lässt es uns Menschen der kurzen Dauer unseres Lebens im Verhältnis zu diesen Urgewalten gewahr werden.

Wie ich an der Reling hänge und so in das tiefe Blau des Nordatlantiks blicke denke ich an August. Oder vielmehr an seine Beisetzung auf See. August war eine äusserst eindrückliche Persönlichkeit deren Bekanntschaft ich dank Jenni machen durfte. Jenni ihrerseits lernte ich während meinem Sprachaufenthalt, notabene am Atlantik, im kleinen Städtchen Royan in Frankreich kennen. Die kleine, hübsche koreanische Schwedin, ja das gibt’s, sass in den Mittagspausen oft mit mir auf der Treppe der Schule, wo ich mein Sandwich mampfend verdrückte. Obwohl sie schon fliessend Englisch und Deutsch und natürlich Schwedisch sprach, war Jenni von Stockholm nach Royan gezogen um auch noch Französisch zu lernen. Nebst den Mittagstunden, trafen wir uns auch am Abend im Astoria, einem der wenigen gemütlichen Kneipen, die auch im Winter im Küstenstädtchen geöffnet hatte. Dort versammelte sich tagtäglich eine ganze Schar Studenten und einige Lokale zu reichlich Bier wurde bis spät in die Nacht diskutiert, Tischfussball oder Billard gespielt oder einfach nur das Leben gefeiert. Aus den anfänglichen zaghaften aber irgendwie ganz natürlichen Annäherungen entwickelte sich bald eine wunderbare, stürmische und leidenschaftliche Liebesbeziehung. Schwankend zu zweit auf meinem Fahrrad brachte ich Jenni spät abends nach den bierschwangeren Abenden im Astoria nach Hause in ihre Studentenbude, bevor ich selbst, erst früh morgens heim zu Nicolas und Chantal fuhr, bei denen ich ein Zimmer gemietet hatte. Alsbald fuhr ich nicht mehr mit dem Fahrrad in die Schule, sondern brachte meinen kleinen roten Fiat Panda mit. Statt über Mittag auf den Treppen zu sitzen fuhren wir über die Klippen im Süden der Stadt, eingewickelt in meinen Daunen Schlafsack verbrachten wir die winterliche Mittagszeit bis die Scheiben des kleinen Wagens undurchsichtig beschlagen waren. Ganz im Stile von Tina Turner‘s SteamyWindows. Es war eine wunderschöne, leidenschaftliche Zeit, eine wunderbare Liebe, wie sie einem nur in jungen Jahren vergönnt ist. Wie afrikanische Buschtrommeln schlug mein Herz, wenn ich Jennifer nur schon von weitem sah. Wir verbrachten schöne, wilde, turbulente gemeinsame Jahre, reisten gemeinsam in den Süden, den Norden, den Westen, den Osten. Bestimmt für einander waren wir nicht und ein halbes Jahrzehnt nach dem wir uns mit angelaufenen Scheiben, über den Atlantik-Klippen nördlich von Bordeaux im Panda liebten, trennten sich unsere Wege für immer.

Und so, dank Jennifer, lernte ich August kennen. August, der Grossvater, Opa, von Jenni. Zum ersten Mal traf ich August in Prag. Der Kurs in Frankreich war längst zu Ende, Jenni in Stockholm, ich in Zürich, Jennis Eltern lebten in Prag, wo ihr Vater Geschäftsführer einer schwedischen Firma war. Nach dem Sprachaufenthalt in Frankreich verbrachte ich meine Zeit in verschiedenen Gelegenheitsjobs, den Freitag hatte ich mir frei genommen und jagte nun in dieser Donnerstagnacht in meinem Triumph Spitfire, meinem ersten Auto, der auch heute noch im meinem Besitz ist, gen‘ Osten. Spät in der Nacht kam ich an unserem Treffpunkt, einem Vorort-Städtchen von Prag an. Das ganze Cabriodach muss im Rhythmus meines Herzschlages gebebt haben, so pochte und sprang mein Herz, als ich Jenni vor dem Gasthaus, das wir, noch vor der Mobiltelefonzeit, noch von zu Hause aus per Telefon als Treffpunkt vereinbart hatten. Daheim bei Jenni’s Eltern angekommen schlichen wir uns ins Haus und kuschelten uns im Kellerzimmer, wo wir für die Prager-Tage wohnten, ins Bett. Frühmorgens, es muss wohl erst 6:00 Uhr gewesen sein, schlich ich mich aus der wohligen Wärme unseres Nestchens nach oben auf die Toilette. Ich wusste von Jenni, was für ein vitaler Mann ihr Opa war. Und trotzdem, ich muss wohl ziemlich komisch aus meinen Boxershorts gekuckt haben, wie ich da im Wohnzimmer einen über 90 jährigen grossen Mann sehe, der sein Körpergewicht in regelmässigen Bewegungen in Liegestützen vom gefliesten Boden hochstemmte. „Ich bin August, Du musst also Thomas sein“ trat mir August entgegen nach dem er sich in die Senkrechte gestellt hatte. Reichlich doof kam ich mir vor wie ich da in T-Shirt und Boxershorts den alten Herr respektvoll begrüsste. „Ich mache grad‘ meine Übungen“ meint er, er solle sich nicht stören lassen, ich sei gestern spät abends von Zürich angekommen. Ich verdrückte mit ins Bad und wie ich wieder rauskam, sah ich August wie er den Rücken mir zugedreht und aus dem Wohnzimmerfenster schauend mit ausgestreckten Armen Kniebeugen absolvierte. Wieder die Treppe runter geschlichen kuschelte ich mich unter die Decke zu meiner Geliebten.

Nach und nach lernte ich August besser kennen, obwohl, oft sahen wir uns nicht, er wohnte in Wilhelmshaven, Jenni in Stockholm, ihre Eltern in Prag, ich in Zürich. Nicht zuletzt durch die Erzählungen von Jenni über ihren Opa wurde er mir auf eine sonderbare Art bekannter. Eigentlich war es erst in jenem Jahr, wessen Silvester August nicht mehr erleben sollte, als wir uns wirklich näher kamen. Jenni studierte unterdessen an der Kunstschule in Zürich und wir wohnten gemeinsam an der Konradstrasse im Kreis 5 meiner Heimatstadt, als Jennis Mama anrief, sie war bei ihrem Vater in Wilhelmshaven, der für verschiedene Dinge zwischen Spital und seiner Wohnung hin- und herwechselte. Es ging ihm nicht gut. Wir entschlossen kurzum nach Norddeutschland zu fahren um August zu besuchen. Jennis Mutter hatte uns ein Gästezimmer in einem nahen Einfamilienhaus organisiert,  aber nach dem wir meinen Toyota Starlet, der rote Panda hatte mittlerweile aufgegeben, über die Deutsche Autobahn scheuchten, fuhren wir zuerst einmal zu August. Der grosse Mann war zusammengesunken und gezeichnet von Alter und Krankheit aber zu Tränen gerührt wie wir durch die Türe seiner Wohnung schritten.

Es war in jenen Tagen, als August und ich uns näher kamen. Jenni und ihre Mama wollten einkaufen gehen, August hatte sich hingelegt und ich offerierte mich zu Hause zu bleiben und für August zu kochen sobald er auf war und Appetit hätte, was kaum je noch der Fall war, stets hatte ihn seine Tochter ermuntert doch ein bisschen was zu essen. Ich sass in der Küche am kleinen Tisch und las ein Buch. In der Küche hing ein Kalender, irgendwann stand ich auf um zu sehen, wie viele Tage uns noch in Wilhelmshaven verblieben, bevor wir wieder im Starlet Richtung Süden brausen mussten. An wenigen Tagen im Wandkalender gab es kleine Vermerke, mit einer leicht zittrigen Schnörkelschrift, die mich an die Schrift meiner eigenen, leider längst verstorbenen Grosseltern erinnerte. Einmal waren es Geburtstage in der Familie, einmal Stichworte zu denen ich keinen Bezug hatte. An einem Tag, der bestimmt für August, der zwei Weltkriege erlebte, eine ganz besondere Bedeutung hatte stand „Krieg ist die Hölle auf Erden“. Es stimmte mich traurig, es erinnerte mich an die Erzählungen von Jenni, dass es Opa bis heute von Albträumen geplagt kaum je vergönnt war eine ganze Nacht durch zu schlafen. August selbst hatte mir einst, als wir uns zum Jahreswechsel in Stockholm sahen erzählt, dass er, bevor er nach Norddeutschland versetzt wurde, im Süden, an der Grenze zur Schweiz Dienst für die deutsche Armee tat. Längst hätte sich unter den Soldaten und den normalen Menschen Unmut verbreitet und Gerüchte und Vorahnungen des Schreckens mit der Hitlers NS das Land in Kriege an alle Fronten stürzte und Minderheiten in KZ’ steckte breit gemacht. August stand am Ufer des Rheins, die neutrale, kriegsverschonte Schweiz auf der anderen Seite des Stromes. Der nächtliche Sprung in die Fluten und das Schwimmen ans andere, das schweizerische Ufer wären für den durchtrainierten Sportoffizier ein leichtes gewesen. Und August hatte sich das, wie wir es wohl alle gemacht hätten, überlegt. Er blieb auf der deutschen Seite des Rheins, die dunkle Ahnung, dass er, hätte er nach der Schweiz desertiert, seine kleine Tochter, heute die Mutter von Jenni, und seine Frau nie mehr lebend sehen würde. Man wusste es, ohne dass jemand darüber sprach, sagte mir damals August, die Familien jener, die das gewagt hätten, seien irgendwann zu Hause abgeholt worden und - einfach verschwunden.

Leichte Geräusche aus Augusts Schlafzimmer kündeten sein Erwachen an. Ich goss gerade siedendes Wasser in den Teekrug als sich August in dem blauen Trainer, der mich an die Liegestütze in Prag, als ich August zum ersten Mal sah erinnert, zu mir in die Küche setzt. Ich erkläre ihm, dass wir zwei alleine seien, da Ingrid und Jenni zum Einkaufen fuhren. „Hast Du Hunger, August?“ frage ich, während ich ihm den Tee in ein grosses Glas mit verwaschenem Blumenmuster goss. Ich fand, das Glas wirke viel weniger nach krank, Spital und so, als Tasse und Untertasse. Blitzartig beschlug das Glas von innen vom dampfenden Tee, für einen Moment zweifelte ich an meiner Idee und glaubte der heisse Tee würde das Glas sprengen. Ich hatte Glück, ein bisschen kaltes Wasser nachgeschüttet brachte den Tee auf eine genüssliche Temperatur für August. „Danke, ich bin nicht wirklich hungrig“ antwortete er. Ich entsann mich der Worte Ingrid‘s, dass ich zusehen soll, dass August was essen würde. Es wäre schon vorbereitet, sage ich, während ich den Pfannen auf dem Herd einheize. Während sich das Essen langsam erwärmt, setzte ich mich wieder zu August, giesse mir auch ein Glas Tee ein. Dann beginnt der mir sonst eher schweigsam vorkommende August zu erzählen: Müde und immer ein bisschen bedusselt von den Medikamenten sei er, der verdammte Krebs, er sei noch nicht bereit  zu sterben, der Krieg hätte ihm zu viele Jahre gestohlen und doch sei er dankbar was für ein langes Leben er bis jetzt gehabt habe. Gespannt hörte ich zu, gelegentlich in die Töpfe guckend. Der 96 jährige Mann erzählte mir aus seiner Kindheit, in Saarbrücken aufgewachsen konnte er sich noch heute erinnern, als das erste Auto durch die staubigen Strassen knatterte, die ganze Stadt war auf den Beinen. Ich erfahre von den Kriegsjahren, der Unmöglichkeit sich aufzulehnen, der unwahrscheinlichen Drohungen der NS an seine eigene Bevölkerung, von den Monaten als Kriegsgefangener die mit dem Austausch gegen ebensolche ein Ende nahm. Während August mir sagte, er hoffe unsere Generation müsse nie mehr einen Krieg erleben, stelle ich ihm einen Teller mit Kartoffeln, gekochtem Gemüse und Fleisch, das Jenni und Ingrid schon vorbereitet hatten, auf den Tisch. Während wir weiter plauderten, August aus den vergangenen Jahren erzählte, schmuggelte ich ihm gar eine zweite Portion auf den Teller und obwohl ursprünglich ganz ohne Appetit, isst er wacker. Wir trinken Tee aus den Gläsern, essen ein spätes Mittagessen und plaudern immer zu. Als Jenni und Ingrid vom Einkaufen zurück kommen sitzen wir noch immer in der Küche, Ingrid erstaunt ob der leeren Töpfe und August meinte ganz fröhlich „Thomas ist mein Koch“ und klopfte mir kollegial auf die Schulter. Ich war gerührt, ein bisschen vielleicht gar stolz.

Wir sprachen nicht viel, die vielen Stunden die wir zurück nach Zürich fuhren, Jenni und ich. Ich glaube wir spürten beide instinktiv, dass wir die letzten Tage mit Opa August hatten verbringen dürfen. Einige Wochen später fahren wir wieder nach Wilhelmshaven. August war nicht religiös, er wünschte sich eine Beisetzung auf See. Genau diese bringt mich eben heute, wenn ich ins ultratiefe Blau des Atlantiks Blicke zu diesen Erinnerungen und lässt meine Gedanken fast 15 Jahre in die Vergangenheit schwirren. Das Schiff vor dem wir uns am Hafen trafen war ein stattlicher, stämmiger Schlepper, schwarz-weiss der stählerne Schiffsrumpf, kräftiges dunkelgrün der Riffelblechboden aussen auf Deck. Es war ein neblig, verhangener Spätherbst Tag über der Nordsee. Wir stiegen hinab in die Messe wo ein grosser Tisch, ausgearbeitet, der Form des Buges des Schiffs folgend stand, darum herum eine gepolsterte Bank auf der wir uns setzten. In einer Nische zwischen den stählernen weissen Planken, die von der stabilen Machart des kräftigen Schiffes zeugten, stand vor einem runden Bullauge Augusts Urne, dahinter ein schönes, buntes Blumen-Bouquet. Jennis Eltern und wir redeten nicht viel, vielleicht wechselten wir ein paar Worte aber ich glaube wir waren alle in unseren Gedanken irgendwo bei August. Der Kapitän war ein kräftig gebauter, grosser blonder Mann in einer perfekten Uniform mit weissem Hemd und Kapitäns-Patten. Er stieg zu uns runter und erklärte mit wenigen Worten wie es vor sich gehen würde. Nach einer Weile wurden wir an Deck gebeten. Die See war rau, die Wellen schäumten kreuz und quer auf. Der Kapitän steuert das Schiff in einen engen Radius und drehte an ein und derselben Stelle drei Kreise in die Nordsee. Wie aus Geisterhand beruhigte sich die See im Inneren dieses Kreises. Die Strömung und die Wellen wurden vom Strahl der Schraube für kurze Zeit unterbrochen und der Kapitän steuerte das Schiff in die Mitte dieses mystischen Kreises, wo nach einigen wenigen Worten des Kapitäns, an die ich mich nicht mehr erinnere, die Urne von August mit den Blumen in eben diesem tiefen blau, an das ich mich heute erinnere, dem Meeresgrund entgegen sank. Ich sehe noch heute in meiner Erinnerung, wie das tiefe, klare blau der Nordsee die Urne und die bunten Blumen nach und nach in seine Tiefe aufnahm. Die Motoren schnurrten ihren sonoren Ton wie wir die Stelle langsam verliessen, noch einige Minuten konnte man den beruhigten Kreis im Meer sehen, bis die wild schäumenden Wellen August endgültig zu sich holten. Als wir zurück fuhren, plagten mich verschiedene Gedanken, nichts ahnend, dass diese Seebestattung wiederkehrend mich immer mal wieder in meinen Träumen heimsuchen würde. Bis heute ist mir die Deutung dieses Traumes ein Rätsel. Im Traum sehe ich das Schiff von oben in diesem beruhigten Kreise auf der Nordsee stehen, ich sehe uns, wie wir an Deck stehen und während die blumenbestückte Urne in der Tiefe versinkt steigt mein Blinkwinkel einem Vogel gleich in die Luft, bis das Schiff nur noch ganz klein im Kreise, das es zuvor zog, schaukelt. Ich glaube auch auf der Rückfahrt sprachen wir kaum. Ich weiss es nicht mehr. Für mich war es eindrücklich, die erste und bis jetzt einzige Bestattung auf See, ich dachte drüber nach, dass es eigentlich nun gar keinen Ort gab, wo man hingehen konnte, wie ich das gelegentlich bei meinen Grosseltern auf dem Friedhof in Zürich machen konnte, verwarf aber den Gedanken gleich wieder und fand, dass man eigentlich so immer und überall an den Wassern eines Ozeans dort sein konnte, wo August sich seinen Abschied von dieser Welt wünschte.

Und genau das sehe ich jetzt bestätigt. Das Erlebte was ich heute, hier an Bord der Grande Francia, in mein Tagebuch schreibe ist schon viele Jahre her. Die afrikanischen Trommeln des leidenschaftlichen Herzschlags längst verstummt, der Kontakt zu Jenni und ihrer Familie ebenso. Meine Gedanken an diesen Tag vor vielen Jahren schon näher der Vergesslichkeit als der Erinnerung. Und genau diese wird hier, durch die Tiefen und das einmalige, klare Blau des Nordatlantiks, die Musse und dank der nur langsam ziehende Zeit an Bord, wieder wach und für mich in wundersamer Weise erfrischt.


Wohin mich der Ozean heute geführt hat, welche vergessenen Erinnerungen und Gefühle er in mir geweckt hat mag ich heute mit niemandem an Bord teilen. Ich fühle, das ist nur für mich bestimmt, wenn mich die Wellen desselben dunkeln Wassers heute an Bord der Grande Francia in den Schlaf wiegen bin ich dankbar, das alles erlebt zu haben, dankbar für die schönen Tage und Stunden mit Jenni, mit ihrem Opa August. Dankbar für diese grosse Reise, die ich hier gesund und munter mit einem Rucksack voller wunderbarer Erlebnisse im Begriff bin zu beenden. Mit jeder Stunde auf dem Schiff komme ich der Heimat rund dreissig Kilometer näher. – Gute Nacht.       


Donnerstag, 22. Januar 2015

Grimaldi Tag 16: Der Abhörskandal im Südpazifik

2. Dezember 2014: 

Mitten im Atlantik
7:30, Frühstück, Ursi und ich setzen uns an den Fünfer Tisch, wir sind 9 Passagiere, es gibt zwei runde Tische, das heisst immer schön ein 4er und ein 5er. Erstaunlicherweise hat sich nicht wie üblich eine Form einer Sitzordnung ergeben, sondern man wechselt immer mal ein bisschen ab, mit einer Ausnahme, Olivier, der Belgier, alleine unterwegs, sitzt immer am 5er Tisch. So geniessen wir an diesem Morgen seine Gesellschaft. Olivier ist einer jener Typen, die weder Morgenmuffel noch sonst was sind, einer der nie eine kurze Phase des sich Nichtmitteilens hat. Keine Ausnahme der heutige Tag, wie wir überhaupt erst auf das Thema kamen weiss ich nicht mehr, möglicherweise war es Gerhard, der am 5er sitzt, der das Thema aufgreift, die Kontrolle des täglichen Lebens, die Verfolgung durch Behörden und Geheimdienste, das Abhören von Telefonen, das Lesen all Deiner E-Mails. Die Diskussionen sind schon im Gange, als der Kapitän sich ebenfalls für sein Frühstück ans Kopfende seines Offizierstisches setzt. Ein, zwei Blicke über den Rand seiner Brille, hin zu uns und er ist mitten drin am Mitdiskutieren. Über den Verlust der Privatsphäre und die stetig steigende Kontrollwut schliesst sich der Kreis schnell zu 9/11. Der Kapitän ist überzeugt, dass es wenig mit Terroristen zu tun hätte und das grausige Machwerk aus eignen Reihen der USA stamme. Wir diskutieren wie eigenartig die zwei Wolkenkratzer in sich zusammen gestürzt sind und natürlich kommen verschiedene Publikationen und Dokumentationen zum Thema zur Sprache. Ich werfe ein, dass wir darüber jeder unsere eigene Theorie haben könnten, rauskommen werde es nie, was und wie das genau passiert sei, genauso wie man nie rausfinden werde, wer JFK wirklich in Dallas niedergestreckt hat. Eine kurze Pause, dann bestätigt der Kapitän, das ich recht hätte aber… und verliert sich in einem ausschweifenden Monologen den sein ganzer Oberkörper mit Italo-Gestik noch unterstreicht, über eben wieder die ständige Kontrolle von allem. Gerhard und Olivier schliessen sich an und sind ebenfalls der Überzeugung, dass alles was wir irgendwie im Netz machen überwacht wird. Dieser Überzeugung bin ich schon lange und schmeisse in die Diskussion, dass es mir eigentlich egal sei, wenn das FBI, das CIA oder der Pakistanische Geheimdienst meine E-Mails lesen oder mein Telefon abhören. Da es wenig von grossem Interesse für diese Leute in meinem Leben gibt. Der Kapitän schnappt mir das Wort weg und bestätigt, das sehe er auch so. – Zwischen ihm und Olivier ist es gelegentlich schwierig überhaupt zu Wort zu kommen. – Trotzdem schaffe ich es noch einmal und bringe zum ersten Mal überhaupt, den Kapitän zum schweigenden Nachdenken. Vielen Chefen gemein, hat er nämlich auch die grosse Gabe wesentlich besser zu reden als zuzuhören. Zu meinem Erstaunen tut er aber genau das jetzt mit zusehends besorgter Miene, wie ich erkläre, dass ich mit ihm einig sei, wie eben gesagt, sei es mir auch egal, wer meine Korrespondenz liest oder mein Telefon abhört, da es wenig von internationalem Interesse zu lesen oder hören gäbe. Was mir aber Angst machen würde, ob all diesem Kontroll- und Sicherheitswahnsinn, Opfer eines Irrtums zu werden? Was wenn ich nichtsahnend zwei, drei Mal gleichzeitig mit irgendjemandem von dessen dunklen Machenschaften ich nicht weiss, zufällig im selben Flieger sitze, ins selbe Land Reise oder am selben Flughafen ankomme, was wenn einer meiner Kunden ohne mein Wissen ein Terrorist ist und so weiter. Nichts ahnend könnte ich so in die Mühlen der Geheimdienste geraten und wenn überhaupt noch einmal rausfinden, meine Integrität im normalen Leben wohl kaum mehr zurückgewinnen können. Man denke da nur an im Verhältnis banale Fälle wie Kachelmann, dessen professionell Karriere mit einer äusserst erfolgreichen Medienschlacht trotz Freispruch zum sicheren Ende gebracht wurde. Des Kapitäns Miene verfinstert sich, daran hätte er noch nicht gedacht murmelt er, man sieht ihm an, dass gerade er, der beruflich viel reist, viele Länder besucht und Facht auf seinen Schiffen transportiert, von denen er nur wenig weiss, sich als potentielles Opfer einer solchen irrtümlichen Hetzjagd sehen kann.

Wir plaudern noch eine Weile weiter über die Gefahren dieses Kontroll- und Sicherheitswahnsinns der nach dem kalten Krieg vielleicht weniger wurde, seit 9/11 aber wieder rasant zunimmt und durch die Bedrohung des Terrors fast alles legitimiert. Dann steht der Kapitän auf, er müsse zur Arbeit, spaziert bei uns am Tisch vorbei, fast beiläufig meint er, wir würden heute Nachmittag den Äquator überqueren.

Ein prächtiger, wenn auch windiger Tag auf See. Ich hole das GPS hervor um zu sehen, wo wir ungefähr sind und ich muss schon reichlich weit raus zoomen auf dem kleinen Bildschirm um irgendwo noch Land zu sehen. Beinahe in der Mitte zwischen den zwei Kontinenten steht der blaue Pfeil der unser Schiff symbolisiert. Nach dem Mittagessen informiert der Kapitän uns, dass er wenn wir von der südlichen in die nördliche Hemisphäre wechseln würden, das Schiffhorn blasen würde, es sollte etwa um 16:15 passieren.

Sonnig mit viel Wind geht es dem Äquator entgegen...

...noch sind wir im Südpazifik.

Ein starker Wind bläst und wir verbringen einen Teil des Nachmittags trotz beinahe klarem Himmel drinnen. Lesen, Schreiben, Fotos sortieren, es wird nie langweilig. Ursi geht zum Sport und ich gehe in Anbetracht des nahenden Wechsels von Süd nach Nord auf Deck 13. Die anderen Passagiere sind schon oben. Nicht nur, damit ich was auf dem GPS sehen kann begebe ich mich in den Schatten des grossen Gehäuses der Zu- und Abluft und auch die grossen Auspuffrohre der Grande Francia beherbergt, auch der Wind ist nahe der Wand und im Windschatten der Bauten der Brücke und des Notfallzimmers grösser und so erträglicher. Eigentlich positioniere ich mich so, dass ich bei der Anzeige 0°00.000‘ auf dem GPS ein Foto schiessen könnte. Das tiefe, unwahrscheinlich laute Schiffshorn, geht mir aber durch Mark und Bein und lässt mich derart zusammenschrecken, dass ich den Moment glatt verpass oder vielmehr verzittere. Ist auch egal, drüber sind wir sowieso. Wir bleiben alle noch oben auf Deck 13 und auch Ursi kommt bald verschwitzt vom Rennen auf dem Laufband hoch. Während wir uns schon wieder im Minuten Bereich dem ersten nördlichen Grad nähern, plaudern wir über unsere Erlebnisse und die Orte an denen wir den Äquator von Norden kommend in Südamerika überquert hatten. Ich gebe die immer noch erstaunliche Geschichte mit dem Ei zum Besten, wo mich eine ecuadorianische Familie dazu motiviert hat, auf dem Äquator ein Ei auf seine Spitze zu stellen und zu meinem eigenen grossen Erstaunen hat es sehr einfach funktioniert und das Ei ist tatsächlich auf dem spitzen wie auf dem stumpfen Ende gestanden, ein rohes Ei, notabene. Nach dem Abendessen werden wir im Halbkreis um Kapitän und einige der Offiziere versammelt und wir bekommen je ein persönliches Zertifikat für die Überquerung des Äquators an Bord der Grande Francia. Eine nette Geste, dass sich die Crew die Mühe gemacht hat für uns. Gerhard meint bei der letzten Fahrt mit Grimaldi hätten sie ein Glas Champagner bekommen wie sie vom Norden in den Süden über den Äquator gefahren seien. „Oh, we don’tä do thätä!“ antwortet der Kapitän kurz und bündig. Mit diesem Diplom werde ich bestimmt einfach einen Job finden in der Schweiz sage ich zum Kapitän dankend, er lacht und meint „in Switzerländ, youä willä always findä wörkä!“ und lacht.


Eine kurze Weile verbringen wir noch draussen und hier, so nahe am Äquator ist es natürlich schon über eine Stunde dunkel. Von nun an wird jeder Tag kürzer, daran müssen wir uns gewöhnen, schwieriger wird es dann erst, wenn wir noch viel weiter nördlich sind, dann wird auch jeder Tag noch empfindlich kälter. Aber noch werden wir einige schöne Tage vor uns haben. Noch knapp zwei Tage auf hoher See, bis wir in Senegal, unserem nächsten Stopp ankommen werden.   

Und schon sind wir auf der nördlichen Halbkugel unterwegs.

Mittwoch, 21. Januar 2015

Von hoher See direkt auf die Strasse

Na also, vielleicht hast Du ja langsam, langsam ein bisschen genug von dem ganzen Seemanns Latein in den Grimaldi Tagebüchern. Falls dem so ist habe ich eine gute Nachricht für Dich. Vorausgesetzt, Du teilst die Interessen mit den meisten der blue truck blog Lesern, die nämlich auf diese Galerie fast am meisten Klicken.


Zur Zeit bin ich dabei die Photo Galerien zu überarbeiten, ein wenig besser auszumisten und den einen oder anderen Photos einen kleinen Nachbearbeitungs-Schliff zu verpasssen. Und die...


...Classic Cars on the Panamericana Galerie ist eben die erste, bei der ich dies komplettiert habe. Wenn Du jetzt HIER klickst, dann kannst Du...


...noch viel mehr als klassische Motorräder...


...verrostete Käfer...


...bunte Karmann's...


...einzilindrige Klassiker...


...Kriegsveteranen...


...oder klassische Ami-Pick-Ups sehen.

















VIEL VERGNÜGEN!

Und bis morgen, dann geht es mit der Grimaldi über den Äquator.