Montag, 5. Januar 2015

Grimaldi Tag 6: Seefahrt vs. Luftfahrt

22. November 2014: Essen – Frühstück 7:30 Uhr, irgendwie dreht sich hier immer alles ums Essen. Es sind die einzigen Fixpunkte in unserem Tagesablauf als Passagiere auf der Grande Francia. 7:30, 12:00, 18:00. Heute ist Schluss damit. Beim Mittagessen erhält Ursi auf Italienisch den Auftrag allen mitzuteilen, dass wir heute Nachmittag um 16:00 bereit sein sollen im Aufenthaltsraum: Sicherheitsinstruktionen.


Na da haben wir’s doch. Kaum machst Du Dich nach der grossen, langen Freiheit auf nach Hause, geht es schon los mit den Terminen. Funktioniert, kurz vor 16:00 sind fast alle bereit und warten im Aufenthaltsraum auf die Instruktionen. Die letzten zwei, noch zu wenig willig sich wieder an Termine zu gewöhnen, werden von Olivier aus der Kabine geklopft. Haji, ein symphytischer Philipino und sein Model, ein ebensolcher, zeigen uns wie das alles geht. In unserer Kabine gibt es nicht nur eine Life-Vest, sondern auch eine riesige Tasche und ein Bauhelm. In der Tasche steckt ein kompletter Neopren-Wärmeanzug, der dem überleben, vor allem im Nordatlantik dienlich erscheint, sollte man mal gerade nicht auf sondern neben dem Schiff sein. Wie ich da so im Sofa des Aufenthaltsraumes hänge und den zwei Typen zusehe, wie sie uns das Anziehen der Life-Vest vordemonstrieren wird mir urplötzlich gewahr, weshalb ich von der Hochseeschifffahrt als Grossdieselmotoren-Monteur in die Fliegerei gewechselt habe. Blenden wir die übergewichtige American Airlines Flight Attendant Grossmutter und den schmalzig-süssen schwulen Flight Attendant mal aus, ist die Sicherheits-Instruktion alles in allem doch auf den Flugzeugen wesentlich genüsslicher zu verfolgen, als hier auf dem Schiff. Gut, die zwei können ja auch nichts dafür und ich bin ja nur einer von 9 Passagieren, und vier davon sind Damen, die sehen das bestimmt ein bisschen anders als ich. Und dann gibt es auf dem Flieger ja, bis jetzt, auch noch kein Ganzkörper-Neopren-Anzug unter dem Stuhl. Trotzdem, eindrücklich, der Anzug hat Füsse und Fingerlinge, die noch zusätzlich durch Fäustlinge ergänzt werden können. Erstaunlich wie schnell der Kumpel von Haji im Anzug verschwindet, bis nur noch seine Nasen und Augen rausgucken. Darüber jetzt die Life-Vest und – der Bauhelm, der mir eher ein bisschen komisch vorkommen will. Haji erklärt uns eindrücklich, dass wir, so ausgerüstet im Notfall, falls keines der Rettungsboote erreichbar schiene, auch einfach von Board springen könnten, erst mal unten floaten, bis irgendwo ein Rettungsboot zu Wasser gelassen wird. Alles logisch und cool, bloss - der Bauhelm kommt mir immer noch ein wenig komisch vor, spring ich da vom 43 Meter hohen Deck runter in die Wellen, trifft mich da nicht als erstes Mal der verdammte Bauhelm auf den Kopf sobald ich wieder aus den Fluten auftauche. Egal. Die Schaumfeuerlöscher werden uns erklärt und dass man das Schnäbbeli derselben schon richtig anpacken muss und Richtung Feuer zielen, ganz wie im richtigen Leben, weil der Schlauch sonst wie ein Gartenschlauch unter Druck wild in der Gegend rum schäumt und ganz vergisst wo’s überhaupt brennt. Die Stationen mit den Feuerwehrschläuchen und den Hydranten werden uns gezeigt. Wie man den Schlauch anschliesst und den Hydranten aufdreht. Dann gehen wir raus an Deck. Die „Muster Station“ ist wo wir uns im Falle eines Alarms alle einfinden sollen. Von dort geht’s direkt in die grossen Rettungsboote, welche je eine Kapazität von 46 Menschen haben. Beruhigend, denn es gibt zwei davon und ob die Grande Francia nun Star- oder Backboardseitig kentern würde, wir hätten alle in einem der boote Platz Crew und Passagiere zusammen sind wir 39. Dazu gibt es zwei Rettungsinseln, die sich beim Sinken des Schiffes von selbst auslösen, aufpumpen und an die Wasseroberfläche poppen, genauso wie die Rettungsboote, Vollpension mit Wasser und Food für alle, in den Rettungsinseln für je 12 Menschen.


Mann über Board! Ist unser nächstes Training, erst mal einen Rettungsring schnappen und rauswerfen und dann aber sofort Bescheid geben, schnell, schnell, die Brücke alarmieren. Wir machen uns Gedanken, wie schnell einer da wohl verloren geht bis die vielen Tonnen und über 200 Meter dieses Schiffes zum Stopp kommen. Ein schlimmer Gedanke da draussen die Grande Francia davon brausen zu sehen. Ich erinnere mich an den Artikel, den ich auf einer on-line Plattform, als ich in Mexico unterwegs war, gelesen habe. Eine Gruppe junger Amerikaner hatte irgendwo in der Karibik ein Segelschiff gechartert, damit sind sie alle ganz glücklich losgesaust. Irgendwo weit draussen, rollten sie die Segel ein und die ersten sprangen übermütig von Deck ins glasklare Karibikwasser, einer nach dem anderen folgten, bis das Boot unbemannt da im ruhigen Wasser lag. Bloss keiner hatte daran gedacht die Strickleiter zum Wiedereinstieg über Board zu hängen. Die glitschige Kunststoffschale bot den jungen Charter-Seglern keine Möglichkeit sich an irgendetwas festzuklammern. Das Dinggy festgezurrt oben auf Deck. Alle samt ertranken sie, einer kleinen übermütigen Unachtsamkeit wegen. Da schliesst sich der Kreis, auch wenn mir die hübschen Flight Attendants besser gefallen als die zwei freundlichen Matrosen, zu See und in der Luft gibt es für vieles kein Pardon, es gibt Fehler die werden nicht verziehen, die fordern ihren sehr hohen Preis.


Der Rest des Tages ist geruhsam, nach knapp einer Stunde Notfall-Gruselkabinett werden wir entlassen, noch ein bisschen Rudermaschine, noch ein bisschen Abendessen, noch ein bisschen Sonnenuntergang an Deck und schon wieder schön in den Schlaf geschaukelt. 

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