Mittwoch, 10. April 2013

Unterwegs mit und zu den Wayuú

Erinnerst Du Dich? Im Dezember habe ich Dir von der Fahrt mit Anna-Maria und ihren zwei Enkeln berichtet. Über die Wegzölle, die wir auf dem Weg in die trockene Wüste der Halbinsel La Guajira in Kolumbien entrichtet haben. Und ich hab Dir versprochen noch zu berichten wie es weiter ging, die Fahrt und noch mehr, die Tage mit und bei den Wayuú. Eines meiner bis jetzt eindrücklichsten Erlebnisse dieser Reise. Genau weil so eindrücklich - vielleicht - dauert meine Verdauungszeit der Erlebnisse ein bisschen länger und die Zeitspanne bis Du davon erfährst noch einmal und noch etwas länger.

Bis auf ein einziges Mal wurden die Wegzölle ständig und immer von Kindern eingetrieben. Deshalb ja Schleckstengel, Spielzeug-Autos und Chips-Tütchen. Wieso nun plötzlich eine handvoll Erwachsener, Männer ausschliesslich, wieso Männer, die doch in Lateinamerika viel mehr durch Hängematten-Präsenz, Biertrinken, Kindermachen, Kartenspielen und wieder Hängemattenliegen ihr Dasein markieren. Ja wirklich, Latein-Amerika ist definitiv nicht "a men's world". Hier aber plötzlich? Kräftige Männer, Männer zwischen 20 und vielleicht 35 Jahren. Einige nur in Shorts andere auch mit einem verwaschenen T-Shirt den kräftigen Oberkörper bedeckend. Hatte der Lonley Planet doch Recht? Soll man sich nicht alleine hinaus auf die La Guajira Halbinsel aufmachen? 

"Hier müssen wir bezahlen!" murmelt mir Anna-Maria mit bestimmter, fast ein bisschen besorgt tönender Stimme zu. "O.k." sag ich "wieviel?" (in meinem Reiseunterbewusstsein klingeln und leuchten und bimmeln schon alle Warnlichter, wenn schon die, die von hier ist, besorgt tönt...)  - "Lass sehen" meint Anna-Maria wie wir im, immer freundlich und nicht offensiv tönenden, dieselnagelnden Leerlauf auf die Männer zurollen, die sich auf beiden Seiten des Toyotas an den Seitenscheiben versammeln. 

Die Kette ist massiv, wäre ein durchbolzen möglich? Geht es durch meinen Kopf, so aus dem Stand heraus. Es ist eine Kette die aus vielen ehemaligen Motorradantriebs-Ketten zusammengesetzt ist, doppelt, vierfach vielleicht und an beiden Enden um Bäume massiv fixiert. Dürfte schwierig werden. Denk ich. Möglich schon, nicht ohne Narben am blue truck, aber möglich wenn es sein muss. Das beruhigt. Ich grüsse auf Spanisch aus dem Seitenfenster. Grosse, weit geöffnete Augenpaare starren mich an. Unmissverständlich, mein Gegenüber spricht kein Spanisch, die dunklen Augen der drei Männer die sich auf der Fahrerseite, meiner Seite, positioniert haben suchen um Hilfe und wandern sofort zu Anna-Maria. Der kleine Juan ist unterdessen auf meine Knie gekrabbelt, ungesprochen ahnt er, dass die paar Münzen die er eben zuvor aus dem Aschenbecher geklaubt hatte diesmal nicht genügen und hält sie in seiner kleinen geballten Faust, erst bereit sie als Wegzoll schnellstens in ein Händchen fallen zu lassen, klammert er sich jetzt richtig gehend an die Münzen. Worte werden gewechselt unter Wayuú, eine Sprache die mit nichts das ich spreche oder je versucht habe zu lernen etwas gemein hat. Es gibt für alles eine Lösung, sag ich mir. Der Tonfall wird freundlicher, ich werde entspannter, kommt schon gut, denk ich mir. Ich hab schon US-Amerikanische pseudo autoritäre Zöllner (Arschlöcher) überlebt, wäre ja gelacht wenn ich hier wenden müsste. Ich habe schon eine 2'000 Pesos Note in meinem Hosensack bereit geklaubt während Anna-Maria noch mit den Männern diskutiert.

"Wir fahren gleich tief in eine kleine Schlucht und durch einen Fluss, die Männer haben alles für die eben angegangene Regenzeit vorbereitet" meint Anna-Maria, ich nicke nur, denn sie spricht schon wieder in Wayuú mit den Männern. Die ganze Szene ist freundlicher geworden und hat all das von mir (bin halt doch Schweizer) anfänglich gefühlte oder auch nur hinein interpretierte Problempotential verloren. Juan ist unterdessen zurück auf den Sitz gerutscht, nur noch sein schweissiges Händchen, das die Münzen umklammert, ruht auf meinem Bein, als sein Kopf einem Tennis-Match Zuschauer ähnlich zwischen seinem Grossmami und den Männer an der Seitenscheibe hin und her schnellt, je nach dem wer gerad wortführend ist im Gespräch. 

"Kein Geld" sagt Anna-Maria "die Männer wollen Süssigkeiten haben" blitzschnell greifen wir, die Kinder, ich und Anna-Maria in meine "Wegzoll-Plastiktüte" und bevor wir es uns richtig bewusst sind lutschen die kräftigen Männer an Schleckstengeln, knabbern an Schoggistängeli und füllen sich die Taschen für ihre Familien. Ich bin froh so viel von dem Zeugs dabei zu haben. Weil eigentlich ja schon Anna-Maria und ihre zwei Enkel ständig am knabbern. Die Kette fällt, wir rollen, im freundlichen Leerlauf darüber und nageln alsbald in eine tiefe Senke, ein schlammiger Fluss ist zu durchqueren, tatsächlich links und rechts der Fahrtrillen haben die Männer Baumstämme in perfekter Länge und Äste bereit geschnitten, vorbereitet um Fahrzeugen die Durchfahrt durch den Schlamm zu ermöglichen, selbst Haufen mit hier weit und breit nicht vorhandenen Steinen und grobem Kies liegen an der Seite des Bachbettes. Die haben sich aber die Schleckstengel verdient denke ich mir, fast ein schlechtes Gewissen den 2000er nicht auch da gelassen zu haben reisse ich den kleinen Hebel des Verteilergetriebes in die Allrad-Position und wir klettern auf der, nur kurz schlammigen Passage gegenüber wieder hoch auf die Ebene in die trockene Wüste. 

Noch weiss ich nichts von meinen Nächten in der Wüste mit den Wayuú, schon gar nichts vom Festen, Tanzen und Feiern.  

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen