Mittwoch, 17. April 2013

Man kann nicht immer gewinnen oder keine Aussicht auf Aussicht

Also eigentlich hatte ich Glück, wenn da nicht diese Horde Teenager im National Park Podocarpus gecampt hätten, die mir dann die halbe Nacht den Schlaf raubten, dann wäre ich vermutlich nicht mit Gummistiefeln und Regenhose aufgebrochen, auf diese Wanderung. Wie nämlich da der Toyota nach dem Hochkraxeln auf der Dreckstrasse auf den kleinen Vorplatz des Refugio (ecuadorianische Version einer SAC Hütte) gerollt kam war da eine scheinbar nicht enden wollende Lawine von Teenagern die rumschwirrten, schrien, kicherten, kreischten oder vom Berg auf dem Wanderweg herunterkamen. Ob super-möchte-gern-sexy Girl mit figurbetonender, enganliegender Wanderhose und in die Talle geschnittener Windjacke und der Ray Ban Piloten Brille oder Bursche in Jeans und T-Shirt, eines war allen gemein, sie waren nass und dreckig. Sehr nass und sehr dreckig. Einige der besonders tussigen Teenage-Girls schauten so missmutig durch die Gegend, als wäre ihnen der Geldbeutel in die Latrine gefallen. Outdoor-Leben ist halt doch nix für Föhnfrisur, rote Lippen, Klebewimpern und Nailpolish. Der Lehrer oder Leiter sieht mit seinem kahlrasierten Schädel und den breiten Schultern zwar aus wie ein Ledernacken aus einem amerikanischen Kriegsfilm, er hält die Meute aber mit wenigen und bestimmten, nicht lauten Worten einigermassen in Schach.

Stunden später, eine Ladung Pasta mit Tomatensauce fand Zugang zu meinem Magen, ein paar Burschen die auf die Schulexkursion ohne Schlafsack losgezogen sind haben sich bei mir eine warme Jacke geborgt, die Kids haben alle ihre Zelte an irgendeinem halbwegs trockenen Ort aufgebaut, unter dem Vordach des Refugios, unter den Dächern der Picnic-Plätze. Ich liege im Bett, lese gerade die fast letzten Seiten von Kommissar Eschenbach's Aufklärung des Mordfalls an einem reichen Privat-Banker auf einem Züricher Golfplatz und eben sprengt sich der Hottinger in die Luft. Da höre ich draussen eine smarte, auf vertrauenswürdig geschaltete Stimme eines Burschen, der meint er würde schon mitkommen und Wache halten und mit seiner Taschenlampe leuchten, die Toilette sei ja jetzt so gruselig-dreckig (was auch tatsächlich stimmt, das einzige Töpfchen sieht nach den Besuchen all der Teenies echt nicht mehr sonderlich anmächelig aus) die könnten hübsche Chicas nicht mehr benützen, die Toilette, doppelt die Stimme nach, eine eher ein bisschen nach Mitläufer tönende Stimme eines zweiten Burschen bestätigt und meint er hätte auch ein Lampe. "Ja das hat mir gerade noch gefehlt, dass Du der bist der mir mit seiner Lampe zwischen die Schenkel zündet!" lacht die Stimme des schlagfertigen Mädchens und eine zweite Mädchenstimme doppelt forsch nach, sie sollen sich aus dem Staub machen, hier bräuchte keiner mit seiner Lampe zünden. Die Stimmen der Burschen scheinen murmelnd abzudrehen, während sich die Mädchenstimmen kichernd entfernen. Irgendwann wird das anhaltende Gekicher, Gequitsche und die prahlenden Stimmbruch-Stimmen zu einer immer wiederkehrenden Soundkulisse die mich mehr oder weniger sanft in Schlaf versetzt.  

Früh krabble ich morgens aus dem Auto. Der National Park Ranger ist unterdessen mit seinem Suzuki Jeep aus dem Tal hochgefahren gekommen. Er begrüsst mich, fragt mich verständnisvoll ob ich dänn hätte schlafen können und hebt das Kinn leicht an Richtung der Jugendlichen die schon wieder mit einer höllischen Geräuschkulisse dran sind ihr dreckig-nasses Zeugs zusammenzuramschen. Das sei ja ein tolles Auto, müsse ich ihm dann noch zeigen, aber jetzt müsse er zusehen, dass die Studenten nicht alles vermüllt hinterliessen. Ich melde mich noch bei ihm ab, dass ich jetzt wandern gehe. "Nos vemos!" Wir sehen uns. Er winkt mir zu ich stapfe los, den Berg hoch.

Also nass ist ja eigentlich logisch, Nebelwald, das riecht ja schon irgendwie nach nass. Aber so nass, also Nebelwald schon ein bisschen untertrieben. Regenwald wäre da passend, nur schon als Vorname. Ich hoffe  darauf, dass das Wetter besser wird bis ich oben auf dem Berg ankomme. Schon wie ich hochsteige, wird der Regen immer mehr. Den Kids und ihrer dreckigen Erscheinung am Vorabend sei dank, dass ich in Gummistiefeln, Regenhosen und bis zum Kinn zugezogener Regenjacke entsprechend gerüstet bin.   


Beim ersten Aussichtspunkt angekommen werden sich meine Hoffnungen nicht bestätigen. Der Nebelwald macht seinem Namen alle Ehre. Während mir der Wind die Regentropfen ins Gesicht peitscht, gucke ich vom Mirador in, genau, Nebel, nichts als Nebel.


Ich gebe aber nicht auf, stapfe durch Schlamm und Pflotsch weiter über die Gratwanderung "Los Miradores" (die Aussichtspunktewanderung). Das Wetter wird keinen Deut besser, mit jeder Stunde die ich unterwegs bin regenet es mehr und mehr. Keine Aussicht auf Aussicht. Obwohl es noch immer steil bergauf geht, denke ich mir, dass ich schon mehr als die Hälfte der Wanderung hinter mir haben muss. Und ich stapfe trotzig weiter, glaube mir sicher zu sein das Vorwärts der kürzeste Weg zurück zum blue truck ist. 


Regenkleider hin, Gummistiefel her, bis zum Schluss bin ich ordentlich durchnässt, dreckig und müde. Aber zufrieden komme ich wieder beim Refugio und bei meinem Toyota an. Die lärmende Teenagehorde ist weg. Es regnet wie aus Eimern. Ich parke den Wagen so, dass sich mein "Küchendach" direkt unter eines der Picnic-Plätzchen-Dächer schiebt, so habe ich ausreichend trockenen Platz meine dreckigen Klamotten auszuziehen. Nicht ganz umweltkonform lasse ich den Motor des Toyotas im Stand knurren, bald ist die Maschine warmgelaufen und heitzt den Wärmetauscher meiner "Oh my  god" Dusche auf, wohltuend mischt sich das heisse Wasser mit dem kalten Regen, wie ich mich darunter stelle und alsbald in trockenen Kleidern im blue truck sitze. Das Klima im Toyota ähnelt dem Tropenhaus im Zürcher Zoo, so viel Feuchtigkeit geben all meine nassen Kleider ab, die ich überall irgendwo aufgehängt habe. So schnurrt der Wagen wieder die steile Strasse runter. Stunden später nagelt der Toyota durchs Tal. Ich blicke links hoch zum verhangenen Berg, auf dem ich den frühen Morgen und den ganzen Vormittag verbrachte. Ein prächtiges Bild mit einem wunderschönen Regenbogen. Manchmal ist die Aussicht von unten besser als vom Aussichtspunkt von ganz oben. 


Noch am selben Nachmittag fahre ich runter nach Vilcabamba, wo das Wetter mild und trocken ist. Ich bin dankbar dafür. Ich klappe das nasse Hubdach hoch, öffne alle Türen und Fenster, das feuchtwarme Tropenklima verzieht sich alsbald aus meinen vier Wänden, die Kleider hängen im Wind und sind noch vor Einbruch der Dunkelheit trocken. Nach zwei Bierchen bin ich schon vor 21 Uhr im Bett, statt Teenager-Gequitsche gibts diese Nacht LKW Gebrumme von der nahen Strasse die in die Berge und rund 150 Kilometer weiter nach Peru führt. Todmüde wie ich bin wirken die vorbeiziehenden Trucks eher einschläfernd als störend. Auch am nächsten Morgen bleibt der Gipfel "meines" Berges verhangen. 






Buchtipp: Der obenerwähnte Kriminalroman: Im Sommer Sterben von Michael Theurillat, List Verlag.

2 Kommentare:

  1. Get jo kei schlächts Wetter, nur schlächti Kleider.
    Zimli madschig-saftig, Dis Wanderwägli!
    Well done! :o)

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  2. Merci, Ursi, stimmt. Aber mängisch sind sälbscht die für's schlächtischt Wätter gmachtä Chleidli, chli überforderet. ;-)

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