Zürich, Schweiz. Er sitzt in einem schwarz glänzenden Mercedes, die Krawatte sitzt so perfekt am gestärkten, weissen Hemdenkragen wie der Anzug über seine Schultern, einem sanften dunkelblauen Wasserfall gleichend, gleitet. Seine leicht grau melierten Haare sind perfekt gestylt und mit wenig Gel dynamisch nach hinten gekämmt. Seine Augen schauen traurig durch rahmenlose Brillengläser und die grosse Frontscheibe in der sich die seicht graue Bewölkung des herbstlichen Hochnebels spiegelt, seine Maulecken scheinen tiefer zu hängen als die Fensterkante der Seitenscheibe. Breit und flach wie eine zum Sprung bereite Albino Raubkatze steht ein schneeweisser Porsche vor ihm, eine aufwendig geschminkte und ebenso frisierte, attraktive blonde Frau, vielleicht Mitte vierzig sitzt im dunklen Buisnessanzug mit gekonnt arrangiertem Decolté im beigen Ledergestühl der flachen Flunder. Sie fuchtelt wild, sitzt alleine im Auto und doch ist ihr aufgeregtes Argumentieren bis durch die schall- und klimakontrollierten Scheiben hörbar. So sexy sie in ihrem Flitzer wirkt, so grimmig schaut sie drein, so killend sind ihre Blicke und fuchtelndend Gesten. Man(n) möchte nicht bei ihr im Porsche sitzen dürfen. In die Freisprechanlage ihres Businessflitzers muss sie schreien, denke ich mir, wie ich an der am Lichtsignal stehenden Kolonne vorbei schlendere. Ein schwarzer VW Golf des vorletzten Modells spiegelt sich im glänzend weissen Porsche, schwarz die Heck- und Seitenscheiben, schwarz und so riesig, dass das Auto einem Cartoon entsprungen zu sein scheint sind die Räder. Trotz des herbstlich frischen Zürcher Stadtmorgens, hängt aus dem Seitenfenster ein Arm an der Seite des Autos runter, ein Zigarettenstummel räuchelt zwischen Zeig- und Mittelfinger. Auf der Heckscheibe prangt ein Symbol so in der Art und Weise eines Arschgeweih Tattoos, wie sich die jungen Damen es zur Zeit grad wieder von ihren Gesässen weglasern lassen weil nicht mehr ganz so toll in Mode. Vor dem Golf steht ein oranger Lieferwagen, vom Bauamt oder einer Bauunternehmung. Bruchteile einer Sekunde scheinen zu vergehen, seit das Lichtsignal von rot auf orange, bald auf grün springt, schon ertönt ein Horn, es schnellt ein halber Oberkörper und ein kurz rasierter Kopf aus dem Golf "Scheisse Mann, pennsch oder was! Fahr Du Arsch, isch grüen Mann!" Der Diesel nagelt und die gestresste, traurige Karavanne zieht dem Lieferwagen folgend von dannen.
Ich warte bis das Lichtsignal wieder rot schaltet und für mich als Fussgänger grün. Ein dunkler 5er BMW hält korrekt auf dem weissen Balken, nur das Auto ist anders, der traurig Typ hinter dem Lenkrad könnte mit dem Fahrer des Mercedes von eben ausgetauscht werden. Keiner würd's merken. Wie eine Elefanten Herde kommen mir die grau, in dunklem blau oder schwarz gekleideten Menschen über den Fussgängerstreifen entgegen. Als wär es eine Trauergesellschaft, als wäre Schmunzeln verboten, niemand lacht, jeder und jede lugt ernst, bisweilen traurig oder gar gehässig zwischen den hochgeschlagenen Kragenecken hevor. Der Tramstation entlang führt mich mein Weg und es scheint als träfe ich da auf die zweite Gruppe der Trauergesellschaft.
Später am Tag, ich habe mich bei Orell Füessli mit ein paar noch fehlenden Karten und Reiseführern eingedeckt, kaufe ich mir eine Bratwurst am Stand beim Coop Warenhaus Sankt Annahof. Den Verkäufer hab ich freundlich gegrüsst, er hebt seinen Kopf leicht um mir zu deuten was ich wolle, meine Bratwurst vom Grill hab ich bestellt, das Geld exakt abgezählt bereit. Auf dem klassischen Kartönchen bekomme ich die Wurst, das Bürli hab ich mir durch das Loch im Plexiglasbehälter selbst gefischt. Und doch, der Herr kann sprechen: "Senf?" sagt er nämlich jetzt, "Ja gärn" ein Druck auf die Pumpe und ein lieblos hingepflättertes Pflotsch von Senf tropft über den Rand des Kartönchens. Mein "Dankä vielmal, ufwiederluegä" wird ausser von mir von niemandem wahrgenommen. Es gibt nur ein kleines Chromstahl Stehtischchen und ein an der Wand befestigtes, schmales Tablar das ein paar jungen Bänkern in Anzügen als Stehbar dient. "Döf i mich zu ihnä stellä?" frage ich die Endfünzigerin im Trenchcoat, die selbst grad ihre Bratwurst in einem Senffladen tunkt. Sie steht am Tischchen. Sie sagt nichts, hebt den Kopf leicht nach links und zieht billigend eine Braue hoch. Ich platziere mein Plastiksäckli aus dem Buchladen aufs Tischchen und mampfe genussvoll die Wurst. Die zwei Bänker scheinen unglücklich zu sein, der eine muss wohl schon fast dreissig sein, während der andere unwahrscheinlich jung, fast schon kindlich aussieht und in seinem dunklen Anzug mit den ein wenig zu langen Armen und den ein wenig zu heftig auf den Schuhen aufsitzenden Hosen aussieht wie die Burschen von den Zeugen Jehovas die früher ein, zwei Mal im Jahr an der Türe klingelten. Nur ein Unterschied, die haben immer gesmilt, fast schon krankhaft-freundlich-künstlich gegrinst. Grinsen tut hier keiner. Die beiden unterhalten sich angeregt über ihre Karriere und sind unzufrieden über schwindende Chancen durch anhaltende Restrukturierungen. Erst wie sie sich über potentielle Positionen unterhalten scheint ein bisschen Stimmung aufzukommen, über Verdienst- und Bonus-Möglichkeiten geht es, über Jobs als Kundenberater Ausland, über Junior Fond-Manager, Frust macht sich breit, die Deutschen und die Amis seien Schuld, dass die Chancen die noch vor Jahren bestanden im Auslandberatungsgeschäft satt zu verdienen nicht mehr bestehen. Die stumme Frau hat unterdessen einen Fluch ausgestossen, die Wurst verzehrt hat sie schon ihr Handtäschen umgehängt, bloss etwas stimmt an dem Bild nicht ganz, an ihrem Trenchcoat klebt das Senfkartönli. Unschön, ich reiche ihr ein paar meiner Papierservietten die sie mir mit einem Blick aus den Händen reisst, als hätte ich ihr den Senf an den Mantel gepappt. Weg ist sie.
Die letzten rund 12 Monate meiner Reise, bevor ich in die Schweiz kam, war ich in Schwellen- und Entwicklungsländern unterwegs. Beinahe ausnahmslos sind mir die Leute freundlich, vor allem aber fröhlich begegnet. In den meisten Ländern kennen sie weder Gesundheits- noch Altersvorsorge, wohnen mit der ganzen Familie in einem Haus das meist aus nur einem Raum besteht. Erst die ein bisschen älteren Kinder, wenn sie nicht mehr so schnell wachsen, bekommen Schuhe, viele Menschen kommen aus einer jüngsten Geschichte von Bürgerkriegen, Folterungen, Mord und Todschlag in den Militärregimen der zentralamerikanischen Ländern. Die meisten Menschen Leben auch heute noch in Armut mit limitierten Möglichkeiten an Bildung zu kommen. Mehr als einmal werde ich von Frauen im Supermarkt gefragt was den die Sachen kosten würden, es ist angeschrieben auf dem Preisschild, bloss sie konnten nie zur Schule gehen, sie können den Preis nicht lesen. Und trotzdem, trotz diesen oft widrigen Lebensumständen, trotz der kompletten Absenz von Vorsorge und Versicherungen begegnen mir die Menschen meist fröhlich, freundlich. Selbst wenn ich mit dem Auto vorbeifahre, winken sie oft und lachen mir zu. Nicht ganz immer, nicht alle sind froh, nicht alle freundlich aber die Mehrheit ist es.
Was ist los mit uns in der Schweiz? Wieso sind wir so traurig? Wie ich in den vergangenen Wochen in der Schweiz unterwegs bin kommt mir immer wieder dieser Song von Mani Matter in den Sinn: "Werum sit dir so truurig?"* Wir haben doch alles, Krankenversicherung, Pension, Auto, Wohnung. War ich auch so bedrückt und traurig unterwegs als ich noch in der Schweiz gelebt und gearbeitet hatte? Vielleicht. Haben wir schon zu viel, hat der materielle Wohlstand in unserem Land einen solchen Schwall von Sorgen mit sich gebracht, wie finanziert man was? Wie bekommt man noch mehr? Besser, grösser, schneller? Oder sind es gerade all diese Dinge die einem traurig durch die Strassen spazieren und fahren lassen. Ich weiss es nicht und nie war es mir so augenfällig wie nach den vielen Monaten die ich im Ausland in zum Teil sehr armen Ländern verbringen durfte.
*leider fand ich im Web keine Original Version von Mani Matter. Hier kommst Du auf YouTube zu einer sehr schönen Interpretation von Polo Hofer, seiner Schmetterbänd und Franz Hohler am Cello.
Tja Thomas, so ist das halt. Ich war auch schon dran in dieses Muster abzurutschen. Zum glück ist dann unsere kleine Tochter zur Welt gekommen und hat mir meine Augen ganz weit geöffnet. Heute fahre ich immer mit einem Lächeln von der Arbeit nach Hause und freue mich die überige Zeit mit unserem kleinen Sonnenschein verbringen zu dürfen.
AntwortenLöschenIrgend wann verwirklichen wir unseren Traum, und wandern nach Schweden aus, dort ist die Freude am Leben auch noch nicht verloren gegangen.
Besten Dank für den tollen Text.
Wir wünschen Dir weiterhin viel freude an Deiner Reise.
Bitte melde Dich wenn Du wieder einmal in der Schweiz bist, dann gibts einen Kaffee bei uns im Schwedenhaus in Muhen.
Liebe Grüsse
Patrick Lehner mit Susanne und Samira
Lieber Patrick & Familie,
AntwortenLöschenBesten Dank für Deinen Kommentar. Ich verfolge den Fortgang des Baus Eures prächtigen Schwedenhauses in Muhen auf Deinem Blog. Und natürlich komme ich dann sehr gerne mal auf einen schwedischen Kaffee vorbei. Tatsächlich ja, Schweden: ich hatte in den 90er Jahren dank einer schwedischen Freundin auch die Möglichkeit einige Zeit in Schweden verbringen zu dürfen, was mich vor allem faszinierte war den viel grösseren Platz den Kultur und Kunst im täglichen Leben in Schweden einnimmt. Und natürlich wie ausgelassen dort gefeiert wird. Na gut, das haben wir ja auch in der Schweiz drauf. ;-)
Herzlichen Dank, dass Du mit mir via meinen Blog mitreist.
Herzlichä Gruess,
thomas