Montag, 5. März 2012

Santa Maria

Felix, der Dino-Pilot, und ich haben uns bei Quetzaltrekkers für eine zweitägige Tour auf den  Vulkan Santa Maria angemeldet. Quetzaltrekkers unterstützt mit seinem ganzen Gewinn Schulprojekte und Strassenkinder in Quetzaltenango, so gehen wir gleich noch viel lieber wandern. Die Bergführer arbeiten alle freiwillig und ohne Entschädigung abgesehen von Kost und Logis. Der grösste Teil der Ausrüstung ist gespendet.

Auch die Zelte, welche wir uns an diesem Morgen auf die Rucksäcke schnallen. Dazu füllen wir 5 Liter Wasser pro Person ab und verpacken das zuvor untereinander aufgeteilte Essen. Alsbald geht's auf zur Bus-Station und schon... 


...sitzen wir im Bus mit Kurs auf unser Ziel. "Talstation" des 3'772 Meter hohen Vulkans Santa Maria. So aus dem Busfenster sieht das noch ganz harmlos aus. Alsbald hopsen wir aus dem Bus und nach ein paar hundert Metern durch die letzten Quartier-Strassen stapfen wir auch schon auf dem stubigen Pfad und es geht gemächlich aufwärts. So gewinnen wir während der ersten Stunde ganz langsam an Höhe der insgesamt über 1'500 Höhenmeter welche wir heute zurücklegen werden. 

Nach gut einer Stunde machen wir einen, für mich verhängnisvollen, Mittagshalt. Quetzaltrekkers hat den Lunch vorbereitet und wir füllen uns die Bäuche mit frischem Gemüse, Frijoles (guatemaltekisches Bohnenmus), Brot, Tortillas und Avocados. Eine gute Stunde später packen wir unsere Sachen wieder in die Rucksäcke und machen uns an den Aufstieg. Schon nach wenigen hundert Metern wird der Weg steil und lässt uns unmissverständlich wissen, dass wir in den nächsten knapp drei Stunden 1'200 Meter hochsteigen werden. Mal kann man ganz gemütlich wandern, mal muss man mit grossen Schritten über Wurzeln oder Steinbrocken klettern. Knapp eine Viertelstunde sind wir unterwegs als sich das Mittagessen mit einem gefährlichen grollen in meinem Bauch meldet. Irgendetwas ist meinem Magen da nicht bekommen. Es rumpelt und gurgelt. Hatte ich da eine Vorahnung, dass ich mir beim Aufteilen der gemeinsamen Austrüstung den "Shit-Kit" reingezogen hatte? Kurze Zeit später muss ich ab in die Büsche und für die nächsten Stunden lässt mir die schweisstreibende Tätigkeit des in den Büschen kauern kaum eine Pause, Matt, unser Führer und Felix warten immer geduldig in sicher Entfernung ein bisschen weiter oben auf mich. Erst kurz vor dem Gipfel habe ich im wahrsten Sinne des Wortes ausgeschissen. Und das Rumoren in meinem Bauch scheint sich zu legen. Als wir oben ankommen bin ich fix und fertig. Die Wanderung selbst anstrengend genug, ca. 15 Kilo Gepäck und dann die Höhe und die dünne Luft. Viel weiter hoch hätte ich es so ausgelaugt nach meinen 2 Stunden Durchfall nicht mehr geschafft. Von oben gucken wir auf ein Meer von Wolken und noch bevor wir unsere Zelte aufbauen steigt auch schon eine Wolke Asche des in unregelmässigen Abständen pustenden Vulkans Santiaguito durch das Wolkenmeer. 


Noch während wir unser Camp aufbauen verwöhnt uns der Vulkan erneut mit einem Grollen und schiesst von neuem eine dicke graue Aschewolke durch die weissen Wolken.

Photo by Felix
Es bläst ein starker kalter Wind während wir uns die letzten Sonnenstrahlen leuchten um unser Camp aufzuschlagen. Nach kurzem auschecken der Lage entscheiden wir uns...

Photo by Felix
..unser Zeltlager an einem zwar engen, dafür recht ordentlich vor dem zügigen Wind geschützten Plätzchen aufzubauen. 


Felix und ich stiefeln noch auf dem Gipfel 'rum während Matt bereits anfängt für uns zu kochen, zuerst gibt's einen warmen Tee, der erfreut mein Bäuchlein. Der Shit-Kit liegt zwar noch bereit aber seit erreichen des Gipfels hat sich mein Bauch beruhigt und erspart mir eine verschissene Situation hier, hoch oben über der Baumgrenze. Diese übrigens liegt hier interessanterweise bei ca. 3'500 Metern.



Längst haben wir uns unsere langen Unterhosen, Mützen und Handschuhe und die dicken Jacken angezogen, während wir Matt's Pasta verschlingen und die Sonne über unserem Camp untergeht. 


Dann plötzlich...


...donnert es, Felix stürmt auf seinen Aussichts-Fels...


...und wir werden nicht nur mit einem fantastischen Sonnenuntergang verwöhnt sondern gleich nochmals mit einem Ascheauswurf des Santiaugitos.


Im weichen Abendlicht vermischt sich die Asche vom heftigen Wind getrieben in unheimlicher Geschwindigkeit mit den Wolken. Wir steigen nun über den Gipfel hinweg auf die andere Seite, jene von der wir hoffen, runter auf den Santiaugito zu sehen und dann in der Dunkelheit die glühende Lava im Krater zu erspähen. Wir passieren ein Lager von einer Gruppe Mayas die für eine Zeremonie hier hoch gestiegen sind. Sie haben keine Zelte dabei, während unserem Pasta-Essen hatten wir sie beten gehört. Jetzt würde ich ihre Tätigkeit eher als Ölen bezeichnen. Sie sind nicht gerade wind- und wetterfest eingepackt mit der rumgereichten Schnappsflasche und dem Feuer scheinen sie sich aber gemütlich aufzuwärmen. 

Wir hocken lange auf der Kante des Gipfels und warten, und warten. Doch der Santiaugito steckt tief unter dicken weissen Wolken und will sich nicht mehr zeigen. Wir steigen zurück, bei den Mayas vorbei gucken uns von oben noch die Lichter der Stadt von wo wir heute Morgen aufgebrochen sind an und verkriechen uns dann nichts ahnend was für eine spannende Nacht auf uns warten würde in unseren Schlafsäcken. 


Vor lauter gut vorbereitet sein und warm eingepackt ist mir im Zelt fast zu heiss und ich habe Mühe überhaupt einzuschlafen. Während der ersten knappen Stunde reisst der Wind noch heftig an unseren Zelten und lässt den Zeltstoff im Winde flattern und knistern. Später wird es ruhig, der Wind lässt nach und nur die gelegentlichen Stimmen der feierenden Maya's schneiden durch die ruhige, dunkle Nacht. 

Es ist knapp ein Uhr nachts als es vorbei ist mit der Stille. Einer der Guatamalteken "klopft" bei Matt ans Zelt, ein klein wenig scheint seine Stimme vom Schnapps-Konsum beeinträchtigt zu sein "...amigo, amigo..." er bringt einen Kollegen mit, den er als Deutschen vorstellt, er hätte bei ihnen gefeiert und geschlafen aber nun sei das Feuer ausgegangen und der Typ würde frieren, ob er sich nicht bei uns ins Zelt legen könnte. Felix und ich liegen bereits zu zweit sehr kuschelig im engen Leichtzelt. Matt macht auf, spricht kurz mit verschlafener Stimme mit den beiden und lässt den aufgelaufenen Wanderer ins Zelt krabbeln, Matte oder Schlafsack hätte er aber nicht für ihn. Der junge erklärt kurz seine Geschichte und dann wird es wieder still. Etwa eine Stunde später höre ich ihn mit jämmerlichem Ton in der Stimme wie er versucht Matt zu wecken. Er hätte kalt und ob er nicht etwas hätte, mit dem er sich zudecken könnte. Ich glaube zu hören wie Matt ihm seine Jacken und Kleider offeriert. Es raschelt und knistert, Matt sagt ihm noch, dass wir aber um 5 aufstehen werden um uns den Sonnenaufgang anzusehen. Dann wird es wieder ruhig.

Kurz nach fünf stehen wir auf, krabbeln aus dem Zelt, ziehen uns all die warmen Sachen wieder an. Zum ersten Mal können wir nun den gestrandeten Wanderer sehen, er steht in Matt's Lötschentaler Skischul-Jacke da. Ja, ja Du hast richtig gelesen, Matt hat eine warme, rote Skilehrer Jacke aus der Schweiz. Ich hatte ihn schon am Abend gefragt, ob er denn auch schon als Skilehrer in der Schweiz gearbeitet hätte. Aber er verneinte lachend, Quetzaltrekkers bekäme immer wieder Ausrüstung aus der Schweiz gespendet unter anderem eben auch einmal eine ganze Menge Skilehrer Jacken aus dem Lötschental. 

Und nun steht eben der Turnschuh Wanderer in der roten Jacke da auf dem Gipfel. Wir stellen uns vor, aber schlaftrunken mag irgendwie noch niemand so richtig mit ihm sprechen oder sich für sein Schicksal interessieren. 

Wir steigen wieder über den Gipfel hinweg und runter zu unserem gestrigen Aussichtspunkt. Wir nehmen auch gleich alles mit für unser Frühstück. Wir sind erstaunt, die Maya's sind alle weg. Offensichtlich noch in der Nacht zum Abstieg aufgebrochen, nur jede Menge Abfall, schwach glimmende und qualmende Asche und eine grosse, leere 2 Liter Schnappsflasche zeugen noch von ihrer Gegenwart in der vergangenen Nacht. 

Der Horizont liefert noch vor Sonnenaufgang ein wunderbares Farben-Spektakel. Und - Santiaugito ist von Wolken frei. Wir freuen uns und können noch in der Dunkelheit sogar die rot glimmende Lava in den Spalten im Krater durchschimmern sehen.  


Noch mit Stirnlampe bewehrt checkt Felix die Aussicht. 


Auch mir bleibt ob dieser Schönheit die Sprache weg.


Immer mehr Licht drängt an den Horizont.


Und zeichnet gemeinsam mit Wolken und Dunst ein Bild bizarrer Schönheit an den Horizont.


Santiaugito liegt weit unter uns. Ein schwaches qualmen lässt uns auf einen erneuten Ausbruch und ein unvergessliches Naturspektakel hoffen. Aber er bleibt ruhig. Matt installiert den Kocher und kocht zuerst Wasser für einen äusserst willkommenen heissen Tee. 


Noch ist es eisig kalt, während uns die ersten Sonnenstrahlen auf dem Gipfel des Santa Maria erreichen. Matt verwöhnt uns unterdessen mit nährhaftem, heissen Haferflockenbrei. Den wir während einem prächtigen Sonnenaufgang aus unseren Plastiktellern schlürfen. Noch ist es unter Null und die warme Mahlzeit kühlt sich rasend schnell ab.

Der deutsche Gast sitzt verfroren in der Schweizer Skilehrer Jacke da und trinkt den Tee den Matt ihm offeriert hat.


So schöne Bilder kann nur die Natur für uns zeichnen.



Alsbald zeichnet sich im Tal ein Schatten des Santa Maria ab... 


...und mit steigender Sonne kommt er näher und wird breiter und zeigt auf eindrückliche Weise wie gross der fast 3'800 Meter hohe Bergriese wirklich ist.


Ganz grosses Kino. Genau so, wie im Kino, sitzen wir auf unseren Plätzen, lassen uns vom Sonnenaufgang-Spektakel verwöhnen und harren mit gespanntem Blick der nächsten Eruption von Santiaugito. Während...


...die Sonnenstrahlen langsam aber sichre die Täler erreichen und sich...


...einen Verdrängungskampf mit dem Dunst und den Wolken liefern, die sich in die Senken gelegt haben.


Schon gut eineinhalb Stunden sitzen wir nun da...


...beobachten die Schönheit und die Ruhe der frühen Morgenstunden...


...und dann, eine zarte Wolke steigt aus dem Krater des Santiaugito...


...ein tiefes Grollen wird zu einem Sekunden anhaltenden Donnern...


...und mit einer kräftigen Eruption schiesst Santiaugito eine dichte graue Aschewolke in die Luft. Die schnell vom Wind davon getragen wird...


...gerade packen wir unsere Sachen zusammen als wir erneut von einer weiteren Show mitgerissen werden. Kaum zu glauben, fast zwei Stunden sassen wir da und nichts, und dann in einer guten Viertelstunde gleich zwei Eruptionen und eine Dritte folgt auch noch als wir zurück bei unserem Camp sind und unsere Zelte zusammen rollen. 

Atemberaubend.

Unterdessen fanden wir Zeit mit unsrem in Matt's Jacke gehüllten nächtlichen Gast ein bisschen zu plaudern. Er ist gestern am späten Nachmittag unten aufgebrochen, in Turnschuhen, im T-Shirt und mit einer Flasche Wasser im Rucksäckli. Keine warmen Kleider? Kein Zelt, Biwaksack? Kein Schlafsack? Kein Essen? Er verneint alles. Er kam spät Abends oben auf dem Gipfel an. Die Mayas haben ihn beherbergt und liessen ihn sich an ihrem Feuer wärmen. "Was war denn dein Plan, wie Du da so spät Nachmittags im Tal aufgebrochen bist einen fast 3'800 Meter hohen Gipfel zu erklimmen?" frage ich. Er hätte eigentlich nicht wirklich einen gehabt. "I guess it was pretty stubid..." meint er selbst, niemand widerspricht. 

Nachdem wir unsere Sachen gepackt haben geht es an den Abstieg. Noch über der Baumgrenze geniessen wir einen tollen Ausblick auf die Stadt, an und für sich eigentlich schon toll, aber mit dem Vulkan und dem Sonnenaufgang hat diese Aussicht ein schweres Spiel uns noch aus den warmen Socken zu hauen. 



Alsbald erreichen wir wieder die Baumgrenze und im Schatten der Bäume ist es trotz der nun schon kräftigen Sonne noch empfindlich frisch.


Dort wo aus dem Hang oberhalb des Weges Feuchtigkeit drückte, formen sich bizarre Eiskristalle die wie Fledermäuse am Lehm hängen und vergängliche Zeugen der tief kalten Nacht sind. 


Wir steigen zügig talwärts.


Nach weniger als 2 Stunden sind wir am Fusse, dort wo wir gestern das für mich so vernichtende Mitagessen zu uns nahmen. Hier treffen wie eine zweite Gruppe von Quetzaltrekkers, sie machen den Hike in einem Tag und haben hier gerastet, bevor das steile Stück folgt. Ich bin froh, Sonnenunter- und -aufgang erlebt zu haben, trotzdem blicke ich ein bisschen neidisch auf deren leichtes Gepäck. Und, erstaunt auf den grossen, schweren Rucksack, welchen die zierlich gebaute belgische Führerin schultert, bevor wir alle wieder aufbrechen, die einen berg- die anderen talwärts.


Matt, der unterdessen seine Jacke wieder bekommen hat, und Felix auf dem Abstieg im flachsten Stück.


Alsbald wird der Weg richtig staubig. Links und rechts ziehen sich Felder an den Hängen hoch, uns begegnen junge Burschen die schwere 50 Liter Fässer auf dem Rücken, nur mit einem Band über der Stirn befestigt den Berg hinauf schleppen. Damit werden die Felder bewässert.

Eine alte Frau mit einer Kuh an einem Strick und einem kleinen Mädchen im Schatten kommt den Berg hoch, die beiden kichern amüsiert ob den ausgelaugten Touris die da den Hang runter marschieren.


Gemüse Felder auf dem letzten Drittel unseres Abstiegs.

Schon hieven wir unsere Rucksäcke wieder in den Bus, wow, ist das gut wieder zu sitzen, auf einem richtigen, gepolsterten Bänklein, auch wenn die enge Bestuhlung des Schulbusses kaum Platz für die Beine lässt. Bald nagelt der Diesel los und wir holpern über die Schotterstrasse Richtung Stadt. 

Wir hopsen alle wieder aus dem Bus und ich kann meine Beine schon nach dem kurzen Sitzen empfindlich gut spüren.  

Der Turnschuhwanderer verabschiedet sich mit einem Händedruck. Ich bin enttäuscht, Matt hatte ihm während des Frühstücks erklärt, dass er für Quetzaltrekkers arbeitet und für was die Organisation steht und was sie machen. Ich hätte von dem Typen mindestens eine gehörige Spende für die Organisation erwartet. Immerhin wäre er ziemlich sicher in seinem T-Shirt kläglich erfroren auf dem nächtlichen Gipfel bei starkem Wind und happigen minus Temperaturen. Oder ohne Taschenlampe auf dem nächtlichen Abstieg abgestürzt. Matt hatte ihn nicht nur in der Ausrüstung von Quetzaltrekkers pennen lassen sondern ihm auch Kleider gegeben, Tee gekocht und – vielleicht so das Leben gerettet. Für solche Typen rücken in den Schweizer Alpen die Helikopter aus – Bergrettungshelikopter gibt es in Guatemala keine. Aber es gibt Quetzaltrekkers, die kümmern sich in selbsloser Art und Weise um Strassenkinder in Quetzaltenango und gelegentlich in ebenso selbsloser Art und Weise um hirnlose Touris in den Bergen.

In jeder Hinsicht zwei atemberaubende, spannende, lehrreiche und selbst ein bisschen verschissene Tage.

Herzlichen Dank an Matt für die tolle, professionelle Führung, danke an Felix für die bergsteigerische Kameradschaft und die aufmunternden Worte während ich mir im wahrsten Sinne des Wortes beinahe in die Hosen geschissen hätte.

Und Du lieber Turnschuhwanderer, gehst hoffentlich in Zukunft mit Deinem Leben ein bisschen weniger leichtfertig um. Hier findest Du Quetzaltrekker’s Donation-Info, ich bin sicher die Kinder freuen sich ebenso wie Du, dass Du noch am Leben bist, wenn Du eine tolle Spende auf ihr Konto überweist. 




2 Kommentare:

  1. Einen aktiven Vulkan bei der Arbeit zu zusehen war einfach eine Klasse für sich. Der "kleine" Ausflug mit dir hat sich wirklich gelohnt. Bin schon gespannt, was wir als nächstes meistern.

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  2. Ein tolles Erlebnis, vielen Dank für den ausführlichen Bericht und die eindrücklichen Bilder!

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