An einer Felswand ist eben diesem Señor mit dem schwierigen Namen der Jesus persönlich erschienen. Da wurde dann dort eigens aus diesem Anlass eine protzige Betonkirche um den Fels gebaut und am Fels selbst flackert und zwinkert so ein Hologramm ähnliches Bild des bärtigen Jesus, so, dass sozusagen jedem der sich heute dort hoch müht auch der Jesus erscheinen kann. Fernando, mein Gastgeber in der
Hacienda La Florida nimmt mich mit dort hin. Ich habe Glück, im Mai ist die Zeit da der Señor Muruhuay ausgiebig mit verschiedenen Festen gefeiert wird. In der Kirche mahnt der Priester mit ausgestreckten Armen und Michael Jackson mässig an den Ohren hängedem Mikrofon überlaut aus den Lautsprechern zu gezügeltem und gemässigtem Leben, die zwei Streuner Hunde die auf der Kirchentreppe, hechelnd und keuchend wacker daran arbeiten einen neuen Bastard auf die Welt zu stellen scheinen sich wenig um die ausgerufene Mässigkeit zu kümmern. Vor dem Hologramm Jesus steht eine Schlange von Menschen um ihm die Ehre zu erweisen. Wieder aus der Kirche draussen, an den vergnügten Hunden (der Typ hat Ausdauer) vorbei steuern wir Richtung der verschiedenen Plätze. Jetzt ist mir auch klar wieso sich der Priester seine Stimme via Lautsprecher so lauthals vervielfachen lässt. Hier wird getanzt und musiziert, dass sich die Balken brechen. Und gebechert. Kaum ein Grüppchen Menschen die sich nicht um einen Stapel Bierkisten versammeln und ob Männlein oder Weiblein, da wird wacker nachgeschenkt und reingeleert. Überall tanzen Gruppen zu ihrer eigenen Band, die Bands haben nichts mit dem peruanischen Panflöten Spieler in der Flughafen Passarelle in Zürich zu tun, da gibt es ganze Gruppen von Saxaphonen, Posaunen, Harfen. Für mich hat die Musik Ähnlichkeit mit der Schweizer Guggenmusik. Auf jeden Fall könnte einem katholisch sein schon fast wieder gefallen, wenn das mit so ausgelassen feiern und so ausgiebig trinken zelebriert wird. Auch wir gönnen uns ein paar Bierchen. Fernando lädt mich noch zu einem Spiesschen vom Grill ein. Auch sonst wird alles Mögliche geboten. Man kann sich mit einer lebendigen Riesenboa über den Schultern für ein paar Soles ablichten lassen, auf ein von kunstvollen Handwerksarbeiten verziertem Lama platz nehmen und ein Photo fürs Familien Album mit nach Hause nehmen. Allerlei Ramsch wird feilgeboten. Viele Süssigkeiten dargeboten, in grossen Pfannen fritiert oder auf halben Ölfass-Grill Stationen im Öl gewendet. Trotz der riesigen Melange von Gerüchen riecht es immer noch meist appetitlich, nur nicht zu genau hinsehen.
Aber am meisten interessiert mich eine grosse Traube von Menschen, die sind alle versammelt in einem Kreis, innerhalb all der Leute erkenne ich immer gleiche Karton Schachteln die sich zu einem Kreis schliessen, darauf ist nochmals eine Reihe ungleicher Kartonschachteln aufgestapelt, jeweils die Verpackungen von was da drauf steht. Rundherum im Kreis stehen da Dampfkochtopf, Mixer, Bratpfanne, Waffeleisen, Föhn und sonst noch so Haushalt und Elektrozeugs. Die Menschen fuchteln wild, strecken Hände aus, reichen Münzen in die Mitte, schreien Zahlen. In der Mitte steht, sozusagen der Croupier, aber viel wichtiger, in der Mitte des Kreises steht eine Kartonschachtel mit einem dicken Grasbüschel drin und einem braun-weissen Meerschweinchen, so eins wie sie sonst hier in Peru ihren Weg, meist gegrillt, auf die Speisekarte finden. Nur dieser Grill-Snack hier, der ist sozusagen der Star der Show. Erst jetzt erkenne ich, die unteren Kartonschachteln im Kreis haben von der Innenseite jeweils ein halbrundes Törchen ausgeschnitten. Oben dran steht eine Nummer auf den Karton geschrieben, darüber die zweite Schachtel und darauf der Dampfkochtopf, der Lockenwickler und weiss was sonst. Das Gefuchtel und Geschreie hört augenblicklich auf wie der Croupier das gemütlich grasknabbernde Meersäuli aus der Schachtel hebt. Kurz wird es in luftige Höhe gehievt und der johlenden, bietenden Menge gezeigt, dann in der Mitte abgesetzt. Der vielen Menschen wegen kann ich nicht sehen, wohin das Tierchen spaziert und welchem Törchen es verschwindet. Enttäuschtes Murren und Knurren geht in der Runde um. Hat wohl keiner auf die Nummer gesetzt in dessen Törchen sich das Meerschweinchen vor der Menge geflüchtet hat. Der Mann in der Mitte zieht es mit einem herzhaften Griff heraus und setzt es wieder in seine Knabberkiste. Es wird wieder laut in der Gruppe, einige drängen sich kopfschüttelnd aus dem Kreis, andere bieten erneut. Ich weiss nicht wie dieses Spiel heisst, mich erinnert es aber an Roulette, mit einer tierischen Kugel.
Fernandos Handy läutet wieder und wieder, er wird wohl zurück in der Hacienda erwartet. Wir stürzen unser letztes Gläschen Bier, bringen eben so wieder eines, in den besser nicht näher beschriebenen, Aborten zurück und spazieren den kurzen Weg die Strasse runter zu den Collectivos (Sammeltaxi). Der Toyota Hiace ist hilflos überladen, sicher 25 Menschen drängen sich sitzend oder stehend im Kleinbus, dennoch kommt er mir im Verhältnis zu dem den wir genommen haben auf dem Hinweg nur zur Hälfte ausgelastet vor. Auf einem Bänkchen drücken ein paar Menschen zusammen, ein vielleicht zehnjähriger Junge wird weggeschickt, damit ich, der Ausländer da einen Sitzplatz kriege. Ist mir nicht so ganz recht, ich blicke ein bisschen hilfesuchend zu Fernando der mir aber auch deutet, ich solle mich dort setzen. Neben mir sitzt, weiss nicht wer, er stellt sich zwar im 20 Sekunden Takt vor und schüttelt mir auch jedesmal von neuem die Hand. Vis à vis von mir sitzt eine hübsche junge Frau und eine von einem arbeitsamen Leben gezeichnete mit ledrigem Gesicht und einem herzhaften Zahnlucken-Lachen. Wieder und wieder lachen die beiden amüsiert, wie der Typ neben mir immer wieder Händchen schüttelt und die paar gleichen Fragen stellt. Woher ich komme, "de Suiza, muy lejos..." aus der Schweiz, weit weg von hier. Von da an wiederholt das Ledergesicht wieder und wieder sehr beeindruckt, "de Suiza, ah, aha, de Suiza, Suiza muy lejos, lejos Suiza, ahaa..." Stolz erklärt mir mein Banknachbar, der mir seinen Namen mit jedem Handshake schon zum x-ten Mal gesagt hat und den ich seiner lallend-brabbelnden Stimme wegen zum x-ten Mal nicht verstanden habe, dass er eben schon 8 Pisco-Sour getrunken hätte und ein bisschen Bier. Richtig gefeiert werden müsse der Señor Muruhuay. Die hübsche und das Ledergesicht müssen sich vor lauter Grinsen die Hände vor den Mund halten. Eine jedenfalls, mit der anderen grübelt Ledergesichtchen schon länger tief in seiner Nase, na da hab ich ja Glück nur immer wieder mit dem Schluckspecht Händchen zu schütteln. Alsbald sind wir bei der Hacienda angekommen. Ein letzter Händedruck. "Suerte, Suerte Señor Suizo" - Viel Glück, viel Glück Herr Schweizer, rufen die drei mir nach, ich bin froh musste der durstige Mann nicht noch Kotzen während der kurzen Fahrt, die Alte mit dem Ledergesicht hatte dem kleinen der mir Platz machen musste schon mal die Wollmütze abgenommen und sie immer wenn meinem Nachbarn der Kopf ganz unkontrolliert auf die Brust sackte wieder schnell verkehrt vor seinen Mund gehalten. Mir tat der kleine Leid, wird da einfach seine Mütze zur Kotztüte umfunktioniert. Wenigsten wurde sie während meiner kurzen Fahrt im Collectivo nicht gefüllt. Es gibt Hoffnung für den Kleinen, dass er auch morgen noch mit seiner Wollmütze in die Schule spazieren kann.