Freitag, 28. Juni 2013

Verkehr, Reifen, William, Juanita & Stefanie

Du kannst es Dir vorstellen, der Verkehr in Lima ist, ich würde mal sagen, ziemlich dicht. Hier leben, je nach dem wo man liest oder wen man fragt, zwischen 8.5 und 13.5 Millionen Menschen. Eine Stadt, mehr Menschen als in meinem Heimatland, der Schweiz, mehr als 10 mal so viele Menschen wie in meiner Hometown Zürich, notabene der grössten Stadt des Landes. Nur gut haben hier noch nicht alle Haushaltungen ein oder mehrere Autos. Es scheint nämlich schon so mehr als genug davon zu geben. Dazu gesellen sich noch allerlei andere spannende Gefährte.

Kurz bevor ich meinen letzten, hübschen Besuch, Stefanie, in Lima am Airport abholen darf, suche ich mit viel Eifer einen Reifenhändler, der die von mir bevorzugten BFGoodrich Reifen verkaufen sollte. Und mit ein bisschen Hilfe von James von Home on the Highway werde ich fündig. Allerdings sind die Reifen nicht vorrätig, bestellt müssen sie werden, 24 Stunden später sollen die Gummis aber beim Pneuhaus einrollen. Pünktlich, man ist ja Schweizer, auf diesen Zeitpunkt fahre ich erneut vor. Zwei Stunden später auch die Reifen, bloss auf dem Toyota Pick-Up glänzt der schwarze Gummi von vier nagelneuen Michelin All Terrain Reifen in der Sonne statt meiner neuen BFG Mud Terrains. Die zwei hübschen Señoritas sind ausser sich, sie verschwinden fast unter ihrer Theke, entschuldigen sich x-fach und versprechen, dass die richtigen weitere 24 Stunden später dann eintreffen werden. Ganz, ganz bestimmt. Sie sollen sich mal nicht sorgen, ich komme halt morgen wieder und schon kommen sie wieder unter ihrer Theke hervor. Klappt dann auch, bloss kommen die zwei Hübschen schon wieder in Stress. Ich kann Dir gar nicht sagen, wie gerne ich würde bei den beiden, bloss so sehr ich will, ich kann nicht: Bezahlen. Das Kreditkartenkästchen funktionierte nicht. Beide ganz nervös, ein bisschen Bank anrufen, ein bisschen Kreditkartenfirma telefonisch anfauchen. Alles hilft nichts, das Kästchen will nicht. "Ojeoje, was machen wir jetzt?" Meinte die ein bisschen ältere, ein bisschen kurvigere der zwei. Ich schlage vor ihnen meinen Pass als Sicherheit da zu lassen, ohne diesen könnte ich ja auch mit vier neuen, unbezahlten Reifen Peru schlecht verlassen. Selbst wenn ich wollte, könnte ich nicht. Schon wieder. Die dunklen, fast schwarzen Augen beginnen wieder zu strahlen, die hängenden Schultern recken sich wieder in eine wesentlich besser aussehende Position, die Aufregung legt sich, viel netter anzusehen die zwei so ohne Stress. Mein Pass sicher im abgeschlossenen Schreibtisch verwahrt, nagelt der blue truck mit neuen, unbezahlten Schuhen von dannen.

Ein neuer Tag: Kommst Du noch mit? Fahre ich nun zum vierten oder schon zum fünften Mal zu den zwei  Guapas? Aber wenn Du da täglich fast schon wie ein Pendler dieselbe Strecke fährst, da erlebst Du ganz ein anderes Lima, als wenn nur so schnell mal rein, raus. So ist das beim Verkehr. Da gibt es William, gut geschützt vor der brennenden Sonne mit Hut und langärmligem T-Shirt steht der kleine, quirlige Mann an immer der gleichen Ausfahrt der Schnellstrasse (schnell ist nur der Name, in Lima gibt es keinen schnellen Verkehr), aus einer Petflasche mit Löchchen im Deckel spritzt er bei der Rot-Phase flink Shampoo auf die Scheibe und putzt in einem Eifer mit einem Lappen und Gummischaber, dafür bekommt er von den meisten nichts, vom einen oder vom anderen ein paar Münzen. Das glaubst Du jetzt nicht, weil der blue truck auf allen Photos immer so vor Dreck steht, aber wirklich, die Scheiben sind sauber. William deutet mir, ob er meine Scheibe putzen darf, ich winke ab, deute ihm aber, er solle zu meiner Seitenscheibe kommen. Händchenschütteln "ich heisse Thomas, ich bin aus der Schweiz, wie heisst Du, wie geht es Dir?" - "Thomas, willkommen in Peru, ich bin William, alles gut, danke - Willkommen in Peru!" - "Danke William" - "Thomas, wie geht's in Peru, gefällt es Dir?" - "Ja super, danke William" - lautes, wildes Hupen aus in den verschiedensten Tonlagen, das Lichtsignal schaltet auf grün, noch läuft nichts, in meinem Handballen hab ich eine 5 Soles Münze wie ein Zauberer festgeklemmt,  ich schüttle mit eben dieser Hand diejenige von William. "Ciao William, alles Gute!" Die Münze klebt jetzt an seiner Handballe er guckt sie kurz an dann guckt er mich an "Muchas Gracias, Suizo!" lacht er und klopft mir freundschaftlich auf den Unterarm wie der Toyota in Fahrt kommt. Ein kurzes Stück auf der nächsten mehrspurigen Strasse, Ausfahrt, Kreuzung, Lichtsignal, rot und Juanita. Juanita ist für Peru erstaunlich gross, sie hat das hier übliche dichte, schöne, tiefschwarze Haar, zu einem Knoten gesteckt, der mit einem Kugelschreiber zusammengehalten wird. Keck recken sich verschiedene Strähnen aus dem Haarknoten in alle Richtungen. Sie trägt einen dunkelblauen Überwurf mit dem gelben Logo irgend eines hiesigen Süssigkeiten oder Schokoladen Herstellers. Fast wie IKEA, gelb-blau. In der linken Hand hält sie ein aus zwei Latten gezimmertes grosses T, das sie in ihrer Hüfte abgestellt hat. An kleinen Nägeln hängen daran Tütchen. Sie geht von Auto zu Auto und bietet kleine Schokokügelchen, ich glaube mit Nüssen drin, feil. "Wo kommst denn Du her?" lacht mich das freundliche, von der Sonne dunkel gegerbte, ein bisschen faltige aber hübsche Gesicht durch's offene Fenster an, ich reiche ihr meine Hand, stelle mich vor, sie hat für eine Latina einen auffallend festen, herzlichen Händedruck, stellt sich als Juanita vor. "Ich komme aus der Schweiz - und Du, Juanita?" Sie muss laut heraus lachen "von hier, von hier bin ich natürlich, ich wohne ausserhalb von Lima, aber meine Familie kommt aus einem kleinen Dorf in den Anden, in der Nähe von Ayacucho, wo ist denn die Schweiz?" - "In Europa..." - "...ah ich weiss, gleich neben Deutschland, nicht?" -"Genau!" - "Willkommen in Peru!" Gehupe, grün, Juanita drückt meine Hand fest und lässt sie langsam gleiten wie meine Auto fahrt auf nimmt. "Adios, Juanita" - "Ciao Thomas!"

Über die Tage wie ich wieder und wieder diese Strecke fahre treffe ich William wieder, er lässt die Scheibenputzerei der anderen Autos links liegen, steuert direkt auf den blue truck zu wie er mich sieht. Händeschütteln, freudiges Lachen auf beiden Seiten, über unser Wiedersehen. Er weiss am zweiten Tag, dass Bern die Hauptstadt der Schweiz ist. "Thomas, wie geht es in Peru? Sind die Leute auch nett zu Dir?" - "Ja super nett, danke William, wo wohnst Du?" Er zeigt auf eine kleine Seitenstrasse die unweit von der Kreuzung wo er arbeitet weggeht. Ein alter VW Bus mit flachen reifen ist zur Linken zu erkennen er wirkt wie ein gerupftes Huhn, der Bus, dort wo die Rückleuchten waren klaffen dunkle Löcher, die Häuser sind ein, zwei oder dreigeschossig, allesamt unverputzt aus nackten Backsteinen, oben ragen Armierungseisen aus den Bauten. Hupen, Grün, Händeschütteln, Schulternklopfen, Adios William. Bei einem späteren Halt wird William bis auf Lichtenstein die Nachbarländer der Schweiz aufzählen, mich nach der Polizei befragen "...sind sie auch gut zu Dir, nicht korrupt. Lass Dich nicht reinlegen!" Am letzten Tag purzeln ein paar Münzen in den Handballen von William, ich sage ihm, dass ich morgen wohl nicht wieder vorbeikommen werde. Er packt meine Hand mit beiden Händen und schüttelt sie kräftig, er bedankt sich wieder und wieder, wünscht mir alles Gute, ich solle aufpassen auf meiner Reise. "Adios Señor Suizo! Suerte!"

Auch Juanita treffe ich an jedem dieser Tage, sie lässt ihr Business für ein paar Minuten ruhen. Kein einziges Mal will sie mir ihre Schokodinger andrehen. "Wo ist denn Deine Frau und wo sind Deine Kinder?" Sie kann das fast nicht verstehen, dass es weder noch gibt hier im blue truck. Wirkt aber gerade zu beruhigt als ich erkläre, dass ich übermorgen eine Freundin aus der Schweiz am Flughafen abholen werde. Wie es in der Schweiz sei, wie ist das Wetter, wie ist es im Sommer, wie im Winter? Gibt es Berge hoch wie die Anden? Schnee? Sind die Leute alle so bleich wie Du? Gibt es auch dunkle wie mich? Behandeln Dich die Leute auch nett hier, gefällt Dir Peru? Wo geht's noch hin? Ich freue mich jeden dieser Tage schon auf die Begegnungen mit William und Juanita und wie ich zum letzten Mal zu den schicken Kurven und den dunklen Augen ins Pneuhaus fahre bin ich fast schon ein bisschen traurig, Juanita und William wohl nie wieder zu sehen. Wie William, erkläre ich auch Juanita, ich werde wohl nicht so schnell wieder an ihrer Kreuzung vorbei kommen, sie stemmt ihr holziges Schokoladen T aus der Hüfte, stellt es an ihrem Körper, wie einst der Schulhausabwart in meinem Primarschulhaus seinen Besen, sie nimmt meinen Unterarm und umschliesst ihn mit beiden Händen. Drückt ihn fest, sie wünscht mir alles Gute und eigentlich schon fast unglaublich, bedankt sich, dass ich diese Tage immer wieder mit ihr geplaudert hätte. Ihrer Worte gerührt überhöre ich sogar das Gehupe, die Kupplung kommt der Toyota setzt sich langsam mit dem Verkehr in Bewegung langsam rutschen ihre Hände meinen Unterarm herab, drücken meine Hand fest und entlassen sie dann langsam, fast ein bisschen zärtlich streicheln entgleiten ihre Hände der meinen "Muchas Gracias, Thomas, Gracias! Suerte! Suerte!" wir gucken uns ein letztes Mal in die Augen und weg bin ich. Danke für was, Juanita?  Wofür, ich habe nie etwas gekauft?

Ich rolle davon, irgendwie gerührt von diesen Begegnungen, Minuten nur, verteilt auf Tage. Danke? Danke für was? Erst ein zweiter Gedanke lässt mich erahnen, was wohl so eine Strassenverkäuferin alles über sich ergehen lassen muss, wie selten jemand freundlich zu ihr sein mag, ihr ein Päckchen abkauft. Wohl ohne Hallo oder Adios. Wie viele Scheiben William wohl putzen muss bis er 5 Soles beisammen hat, wie viele der Grossstadt-Menschen ihn abweisen, wie viele die Fenster hoch schnurren lassen, wie viel Demütigungen diese Menschen täglich über sich ergehen lassen müssen. Ich weiss es nicht, doch jetzt ist sie noch grösser  meine Freude über diese herzlichen kurzen Bekanntschaften.

Am nächsten Abend bleibt der neu besohlte blue truck im Hitchhikers Hostal stehen, seine Gummis sind  nun  bezahlt, mein Pass wieder an seinem Örtchen. Ein bisschen aufgeregt, gespannt aber mit noch mehr Freude schaukle ich im koreanischen Klappertaxi zum Flughafen, wo ich auf dem grossen Display sehe, dass Stefanie's Maschine aus Paris bereits in Lima gelandet ist.       

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