3. Dezember 2014: Wie jeden Tag geht der Wecker
kurz nach 7:00 Uhr los. Ein Blick aus dem Fenster lässt schon jetzt erahnen,
dass die Tage nördlich des Äquators kürzer und kürzer werden. Gespenstisch
hängt der fast volle Mond in den Wolken, dumpfes Dämmerlicht lässt mich wissen,
dass die Sonne zwar bestimmt auf der anderen Seite des Schiffes im Osten kommen
wird, aber aufgegangen ist sie noch nicht.
Es wird ein windiger, aber
sonniger Tag auf der noch jungen Fahrt auf dem nun - jetzt - Nord-Atlantik. Das Wetter ist warm und
die Luftfeuchtigkeit hoch. Das Meer kräuselt sich in weissen Schäumchen über
den Wellen, gleichzeitig wellt die ganze Meeresoberfläche in langen grossen
Wellen, die sich aber nicht zu überschlagen vermögen und die Grande Francia
sich in langatmigen Nickbewegung darüber weg pflügen lässt. Kleine Gruppen
fliegender Fische zischen über die Bugwellen um der Grande Francia zu
entkommen. Einmal kann ich einen grossen Rochen entdecken, der für einen Moment
beinahe mit den rund 30 km/h der Grimaldi mithalten kann, dann wird es ihm zu
bunt und er taucht links weg und verschwindet in der tiefen Bläue des
Nordatlantiks. Interessant, ich dachte immer so weit draussen auf offener See
gäbe es nicht mehr allzu viel Meeresgetier. Ich erinnere mich, wie wir noch vor
der Küste Brasiliens oben auf der Brücke
waren der Radar im Sog des Schiffes ständig irgendwelche Objekte anzeigte,
einer der Offiziere erklärte mir, das seien grosse Fische, die in der Welle
mitschwimmen würden, tatsächlich konnten wir damals auch einen grossen Fisch,
einer Mischung aus Delphin und Hai ähnlich, in den Wellen springen sehen.
Ansonsten hielten sich die Tiere aber in ihrem Element, unter Wasser. Ich frage
mich ob das wohl jetzt hier draussen fast mittig zwischen dem amerikanischen
und dem afrikanischen Kontinent immer noch so ist, dass der Radar unsere
tierischen Verfolger laufend erfasst.
Eine ruhiger Tag, den ich fast
ausschliesslich draussen verbringe. Das Meer, obwohl ein ganz anderes Element,
hat für mich etwas gemein mit einem offenen Feuer, genauso wie ich Stunden in
mein Camp Feuer oder in ein offenes Kaminfeuer blicken und verträumt meinen
Gedanken oder Zukunftsideen nachhängen kann, kann ich das auch mit dem Ozean.
Wie das Feuer ist auch das Wasser rastlos und ständiger Veränderung unterworfen,
zu jeder Tagestunde und mit wechselndem Wind und Wetter verändert sich seine
Farbe von tiefblau zu allem möglichen grün bis hin zu Grautönen, einmal in
kurzen wilden Wellen aufschäumend einmal in langen gewaltigen Frequenzen
scheinbar bebend, lässt es uns Menschen der kurzen Dauer unseres Lebens im
Verhältnis zu diesen Urgewalten gewahr werden.
Wie ich an der Reling hänge und
so in das tiefe Blau des Nordatlantiks blicke denke ich an August. Oder
vielmehr an seine Beisetzung auf See. August war eine äusserst eindrückliche
Persönlichkeit deren Bekanntschaft ich dank Jenni machen durfte. Jenni ihrerseits
lernte ich während meinem Sprachaufenthalt, notabene am Atlantik, im kleinen
Städtchen Royan in Frankreich kennen. Die kleine, hübsche koreanische Schwedin,
ja das gibt’s, sass in den Mittagspausen oft mit mir auf der Treppe der Schule,
wo ich mein Sandwich mampfend verdrückte. Obwohl sie schon fliessend Englisch
und Deutsch und natürlich Schwedisch sprach, war Jenni von Stockholm nach Royan
gezogen um auch noch Französisch zu lernen. Nebst den Mittagstunden, trafen wir
uns auch am Abend im Astoria, einem der wenigen gemütlichen Kneipen, die auch
im Winter im Küstenstädtchen geöffnet hatte. Dort versammelte sich tagtäglich
eine ganze Schar Studenten und einige Lokale zu reichlich Bier wurde bis spät
in die Nacht diskutiert, Tischfussball oder Billard gespielt oder einfach nur
das Leben gefeiert. Aus den anfänglichen zaghaften aber irgendwie ganz
natürlichen Annäherungen entwickelte sich bald eine wunderbare, stürmische und
leidenschaftliche Liebesbeziehung. Schwankend zu zweit auf meinem Fahrrad
brachte ich Jenni spät abends nach den bierschwangeren Abenden im Astoria nach
Hause in ihre Studentenbude, bevor ich selbst, erst früh morgens heim zu
Nicolas und Chantal fuhr, bei denen ich ein Zimmer gemietet hatte. Alsbald fuhr
ich nicht mehr mit dem Fahrrad in die Schule, sondern brachte meinen kleinen
roten Fiat Panda mit. Statt über Mittag auf den Treppen zu sitzen fuhren wir
über die Klippen im Süden der Stadt, eingewickelt in meinen Daunen Schlafsack
verbrachten wir die winterliche Mittagszeit bis die Scheiben des kleinen Wagens
undurchsichtig beschlagen waren. Ganz im Stile von
Tina Turner‘s SteamyWindows. Es war eine wunderschöne, leidenschaftliche Zeit, eine wunderbare
Liebe, wie sie einem nur in jungen Jahren vergönnt ist. Wie afrikanische
Buschtrommeln schlug mein Herz, wenn ich Jennifer nur schon von weitem sah. Wir
verbrachten schöne, wilde, turbulente gemeinsame Jahre, reisten gemeinsam in
den Süden, den Norden, den Westen, den Osten. Bestimmt für einander waren wir
nicht und ein halbes Jahrzehnt nach dem wir uns mit angelaufenen Scheiben, über
den Atlantik-Klippen nördlich von Bordeaux im Panda liebten, trennten sich
unsere Wege für immer.
Und so, dank Jennifer, lernte ich
August kennen. August, der Grossvater, Opa, von Jenni. Zum ersten Mal traf ich
August in Prag. Der Kurs in Frankreich war längst zu Ende, Jenni in Stockholm,
ich in Zürich, Jennis Eltern lebten in Prag, wo ihr Vater Geschäftsführer einer
schwedischen Firma war. Nach dem Sprachaufenthalt in Frankreich verbrachte ich
meine Zeit in verschiedenen Gelegenheitsjobs, den Freitag hatte ich mir frei
genommen und jagte nun in dieser Donnerstagnacht in meinem Triumph Spitfire,
meinem ersten Auto, der auch heute noch im meinem Besitz ist, gen‘ Osten. Spät
in der Nacht kam ich an unserem Treffpunkt, einem Vorort-Städtchen von Prag an.
Das ganze Cabriodach muss im Rhythmus meines Herzschlages gebebt haben, so pochte
und sprang mein Herz, als ich Jenni vor dem Gasthaus, das wir, noch vor der
Mobiltelefonzeit, noch von zu Hause aus per Telefon als Treffpunkt vereinbart
hatten. Daheim bei Jenni’s Eltern angekommen schlichen wir uns ins Haus und
kuschelten uns im Kellerzimmer, wo wir für die Prager-Tage wohnten, ins Bett.
Frühmorgens, es muss wohl erst 6:00 Uhr gewesen sein, schlich ich mich aus der
wohligen Wärme unseres Nestchens nach oben auf die Toilette. Ich wusste von
Jenni, was für ein vitaler Mann ihr Opa war. Und trotzdem, ich muss wohl
ziemlich komisch aus meinen Boxershorts gekuckt haben, wie ich da im Wohnzimmer
einen über 90 jährigen grossen Mann sehe, der sein Körpergewicht in regelmässigen
Bewegungen in Liegestützen vom gefliesten Boden hochstemmte. „Ich bin August,
Du musst also Thomas sein“ trat mir August entgegen nach dem er sich in die Senkrechte
gestellt hatte. Reichlich doof kam ich mir vor wie ich da in T-Shirt und Boxershorts
den alten Herr respektvoll begrüsste. „Ich mache grad‘ meine Übungen“ meint er,
er solle sich nicht stören lassen, ich sei gestern spät abends von Zürich
angekommen. Ich verdrückte mit ins Bad und wie ich wieder rauskam, sah ich
August wie er den Rücken mir zugedreht und aus dem Wohnzimmerfenster schauend
mit ausgestreckten Armen Kniebeugen absolvierte. Wieder die Treppe runter
geschlichen kuschelte ich mich unter die Decke zu meiner Geliebten.
Nach und nach lernte ich August besser kennen, obwohl, oft sahen wir uns nicht, er wohnte in Wilhelmshaven,
Jenni in Stockholm, ihre Eltern in Prag, ich in Zürich. Nicht zuletzt durch die
Erzählungen von Jenni über ihren Opa wurde er mir auf eine sonderbare Art
bekannter. Eigentlich war es erst in jenem Jahr, wessen Silvester August nicht
mehr erleben sollte, als wir uns wirklich näher kamen. Jenni studierte
unterdessen an der Kunstschule in Zürich und wir wohnten gemeinsam an der
Konradstrasse im Kreis 5 meiner Heimatstadt, als Jennis Mama anrief, sie war
bei ihrem Vater in Wilhelmshaven, der für verschiedene Dinge zwischen Spital
und seiner Wohnung hin- und herwechselte. Es ging ihm nicht gut. Wir
entschlossen kurzum nach Norddeutschland zu fahren um August zu besuchen. Jennis
Mutter hatte uns ein Gästezimmer in einem nahen Einfamilienhaus
organisiert, aber nach dem wir meinen
Toyota Starlet, der rote Panda hatte mittlerweile aufgegeben, über die Deutsche
Autobahn scheuchten, fuhren wir zuerst einmal zu August. Der grosse Mann war
zusammengesunken und gezeichnet von Alter und Krankheit aber zu Tränen gerührt
wie wir durch die Türe seiner Wohnung schritten.
Es war in jenen Tagen, als August
und ich uns näher kamen. Jenni und ihre Mama wollten einkaufen gehen, August
hatte sich hingelegt und ich offerierte mich zu Hause zu bleiben und für August
zu kochen sobald er auf war und Appetit hätte, was kaum je noch der Fall war,
stets hatte ihn seine Tochter ermuntert doch ein bisschen was zu essen. Ich
sass in der Küche am kleinen Tisch und las ein Buch. In der Küche hing ein
Kalender, irgendwann stand ich auf um zu sehen, wie viele Tage uns noch in
Wilhelmshaven verblieben, bevor wir wieder im Starlet Richtung Süden brausen
mussten. An wenigen Tagen im Wandkalender gab es kleine Vermerke, mit einer
leicht zittrigen Schnörkelschrift, die mich an die Schrift meiner eigenen,
leider längst verstorbenen Grosseltern erinnerte. Einmal waren es Geburtstage
in der Familie, einmal Stichworte zu denen ich keinen Bezug hatte. An einem
Tag, der bestimmt für August, der zwei Weltkriege erlebte, eine ganz besondere
Bedeutung hatte stand „Krieg ist die Hölle auf Erden“. Es stimmte mich traurig,
es erinnerte mich an die Erzählungen von Jenni, dass es Opa bis heute von
Albträumen geplagt kaum je vergönnt war eine ganze Nacht durch zu schlafen.
August selbst hatte mir einst, als wir uns zum Jahreswechsel in Stockholm sahen
erzählt, dass er, bevor er nach Norddeutschland versetzt wurde, im Süden, an
der Grenze zur Schweiz Dienst für die deutsche Armee tat. Längst hätte sich
unter den Soldaten und den normalen Menschen Unmut verbreitet und Gerüchte und
Vorahnungen des Schreckens mit der Hitlers NS das Land in Kriege an alle
Fronten stürzte und Minderheiten in KZ’ steckte breit gemacht. August stand am
Ufer des Rheins, die neutrale, kriegsverschonte Schweiz auf der anderen Seite
des Stromes. Der nächtliche Sprung in die Fluten und das Schwimmen ans andere,
das schweizerische Ufer wären für den durchtrainierten Sportoffizier ein
leichtes gewesen. Und August hatte sich das, wie wir es wohl alle gemacht hätten,
überlegt. Er blieb auf der deutschen Seite des Rheins, die dunkle Ahnung, dass
er, hätte er nach der Schweiz desertiert, seine kleine Tochter, heute die Mutter
von Jenni, und seine Frau nie mehr lebend sehen würde. Man wusste es, ohne dass
jemand darüber sprach, sagte mir damals August, die Familien jener, die das
gewagt hätten, seien irgendwann zu Hause abgeholt worden und - einfach
verschwunden.
Leichte Geräusche aus Augusts
Schlafzimmer kündeten sein Erwachen an. Ich goss gerade siedendes Wasser in den
Teekrug als sich August in dem blauen Trainer, der mich an die Liegestütze in
Prag, als ich August zum ersten Mal sah erinnert, zu mir in die Küche setzt. Ich
erkläre ihm, dass wir zwei alleine seien, da Ingrid und Jenni zum Einkaufen
fuhren. „Hast Du Hunger, August?“ frage ich, während ich ihm den Tee in ein
grosses Glas mit verwaschenem Blumenmuster goss. Ich fand, das Glas wirke viel
weniger nach krank, Spital und so, als Tasse und Untertasse. Blitzartig
beschlug das Glas von innen vom dampfenden Tee, für einen Moment zweifelte ich
an meiner Idee und glaubte der heisse Tee würde das Glas sprengen. Ich hatte
Glück, ein bisschen kaltes Wasser nachgeschüttet brachte den Tee auf eine
genüssliche Temperatur für August. „Danke, ich bin nicht wirklich hungrig“
antwortete er. Ich entsann mich der Worte Ingrid‘s, dass ich zusehen soll, dass
August was essen würde. Es wäre schon vorbereitet, sage ich, während ich den
Pfannen auf dem Herd einheize. Während sich das Essen langsam erwärmt, setzte
ich mich wieder zu August, giesse mir auch ein Glas Tee ein. Dann beginnt der
mir sonst eher schweigsam vorkommende August zu erzählen: Müde und immer ein
bisschen bedusselt von den Medikamenten sei er, der verdammte Krebs, er sei
noch nicht bereit zu sterben, der Krieg
hätte ihm zu viele Jahre gestohlen und doch sei er dankbar was für ein langes
Leben er bis jetzt gehabt habe. Gespannt hörte ich zu, gelegentlich in die
Töpfe guckend. Der 96 jährige Mann erzählte mir aus seiner Kindheit, in
Saarbrücken aufgewachsen konnte er sich noch heute erinnern, als das erste Auto
durch die staubigen Strassen knatterte, die ganze Stadt war auf den Beinen. Ich
erfahre von den Kriegsjahren, der Unmöglichkeit sich aufzulehnen, der
unwahrscheinlichen Drohungen der NS an seine eigene Bevölkerung, von den
Monaten als Kriegsgefangener die mit dem Austausch gegen ebensolche ein Ende
nahm. Während August mir sagte, er hoffe unsere Generation müsse nie mehr einen
Krieg erleben, stelle ich ihm einen Teller mit Kartoffeln, gekochtem Gemüse und
Fleisch, das Jenni und Ingrid schon vorbereitet hatten, auf den Tisch. Während
wir weiter plauderten, August aus den vergangenen Jahren erzählte, schmuggelte
ich ihm gar eine zweite Portion auf den Teller und obwohl ursprünglich ganz
ohne Appetit, isst er wacker. Wir trinken Tee aus den Gläsern, essen ein spätes
Mittagessen und plaudern immer zu. Als Jenni und Ingrid vom Einkaufen zurück
kommen sitzen wir noch immer in der Küche, Ingrid erstaunt ob der leeren Töpfe
und August meinte ganz fröhlich „Thomas ist mein Koch“ und klopfte mir
kollegial auf die Schulter. Ich war gerührt, ein bisschen vielleicht gar stolz.
Wir sprachen nicht viel, die
vielen Stunden die wir zurück nach Zürich fuhren, Jenni und ich. Ich glaube wir
spürten beide instinktiv, dass wir die letzten Tage mit Opa August hatten
verbringen dürfen. Einige Wochen später fahren wir wieder nach Wilhelmshaven.
August war nicht religiös, er wünschte sich eine Beisetzung auf See. Genau
diese bringt mich eben heute, wenn ich ins ultratiefe Blau des Atlantiks Blicke
zu diesen Erinnerungen und lässt meine Gedanken fast 15 Jahre in die
Vergangenheit schwirren. Das Schiff vor dem wir uns am Hafen trafen war ein
stattlicher, stämmiger Schlepper, schwarz-weiss der stählerne Schiffsrumpf,
kräftiges dunkelgrün der Riffelblechboden aussen auf Deck. Es war ein neblig,
verhangener Spätherbst Tag über der Nordsee. Wir stiegen hinab in die Messe wo
ein grosser Tisch, ausgearbeitet, der Form des Buges des Schiffs folgend stand,
darum herum eine gepolsterte Bank auf der wir uns setzten. In einer Nische
zwischen den stählernen weissen Planken, die von der stabilen Machart des
kräftigen Schiffes zeugten, stand vor einem runden Bullauge Augusts Urne,
dahinter ein schönes, buntes Blumen-Bouquet. Jennis Eltern und wir redeten
nicht viel, vielleicht wechselten wir ein paar Worte aber ich glaube wir waren
alle in unseren Gedanken irgendwo bei August. Der Kapitän war ein kräftig
gebauter, grosser blonder Mann in einer perfekten Uniform mit weissem Hemd und
Kapitäns-Patten. Er stieg zu uns runter und erklärte mit wenigen Worten wie es
vor sich gehen würde. Nach einer Weile wurden wir an Deck gebeten. Die See war
rau, die Wellen schäumten kreuz und quer auf. Der Kapitän steuert das Schiff in
einen engen Radius und drehte an ein und derselben Stelle drei Kreise in die
Nordsee. Wie aus Geisterhand beruhigte sich die See im Inneren dieses Kreises.
Die Strömung und die Wellen wurden vom Strahl der Schraube für kurze Zeit
unterbrochen und der Kapitän steuerte das Schiff in die Mitte dieses mystischen
Kreises, wo nach einigen wenigen Worten des Kapitäns, an die ich mich nicht
mehr erinnere, die Urne von August mit den Blumen in eben diesem tiefen blau,
an das ich mich heute erinnere, dem Meeresgrund entgegen sank. Ich sehe noch
heute in meiner Erinnerung, wie das tiefe, klare blau der Nordsee die Urne und
die bunten Blumen nach und nach in seine Tiefe aufnahm. Die Motoren schnurrten
ihren sonoren Ton wie wir die Stelle langsam verliessen, noch einige Minuten
konnte man den beruhigten Kreis im Meer sehen, bis die wild schäumenden Wellen
August endgültig zu sich holten. Als wir zurück fuhren, plagten mich
verschiedene Gedanken, nichts ahnend, dass diese Seebestattung wiederkehrend
mich immer mal wieder in meinen Träumen heimsuchen würde. Bis heute ist mir die
Deutung dieses Traumes ein Rätsel. Im Traum sehe ich das Schiff von oben in
diesem beruhigten Kreise auf der Nordsee stehen, ich sehe uns, wie wir an Deck stehen
und während die blumenbestückte Urne in der Tiefe versinkt steigt mein
Blinkwinkel einem Vogel gleich in die Luft, bis das Schiff nur noch ganz klein
im Kreise, das es zuvor zog, schaukelt. Ich glaube auch auf der Rückfahrt
sprachen wir kaum. Ich weiss es nicht mehr. Für mich war es eindrücklich, die
erste und bis jetzt einzige Bestattung auf See, ich dachte drüber nach, dass es
eigentlich nun gar keinen Ort gab, wo man hingehen konnte, wie ich das
gelegentlich bei meinen Grosseltern auf dem Friedhof in Zürich machen konnte,
verwarf aber den Gedanken gleich wieder und fand, dass man eigentlich so immer
und überall an den Wassern eines Ozeans dort sein konnte, wo August sich seinen Abschied
von dieser Welt wünschte.
Und genau das sehe ich jetzt
bestätigt. Das Erlebte was ich heute, hier an Bord der Grande Francia, in mein
Tagebuch schreibe ist schon viele Jahre her. Die afrikanischen Trommeln des
leidenschaftlichen Herzschlags längst verstummt, der Kontakt zu Jenni und ihrer
Familie ebenso. Meine Gedanken an diesen Tag vor vielen Jahren schon näher der
Vergesslichkeit als der Erinnerung. Und genau diese wird hier, durch die Tiefen
und das einmalige, klare Blau des Nordatlantiks, die Musse und dank der nur
langsam ziehende Zeit an Bord, wieder wach und für mich in wundersamer Weise
erfrischt.
Wohin mich der Ozean heute
geführt hat, welche vergessenen Erinnerungen und Gefühle er in mir geweckt hat
mag ich heute mit niemandem an Bord teilen. Ich fühle, das ist nur für mich
bestimmt, wenn mich die Wellen desselben dunkeln Wassers heute an Bord der
Grande Francia in den Schlaf wiegen bin ich dankbar, das alles erlebt zu haben,
dankbar für die schönen Tage und Stunden mit Jenni, mit ihrem Opa August.
Dankbar für diese grosse Reise, die ich hier gesund und munter mit einem
Rucksack voller wunderbarer Erlebnisse im Begriff bin zu beenden. Mit jeder
Stunde auf dem Schiff komme ich der Heimat rund dreissig Kilometer näher. – Gute
Nacht.