Unterwegs auf dem Dempster Highway |
Direkt vom zweiten in den vierten Gang schalte ich, im Moment in dem ich eine Anhöhe in den Ogilvie Mountains erreiche, achterbahnmässig kann ich den Verlauf der steilen Strasse hinunter in eine Senke, bevor es etwa drei Kilometer weiter wieder bergauf geht, verfolgen. Der blue truck knurrt auf als ich in den dritten Gang runter schalte und ihn ohne Gas den Berg hinunter schieben lasse. Ich erkenne etwas Rotes auf der anderen Seite in der Steigung, ich denke, es ist einer dieser Wahnsinns Typen die die rund 750 Kilometer mit dem Fahrrad zurücklegen. Nein - ich erkenne einen Fussgänger! Im Schlepptau einen Anhänger. Nicht in einer Staubwolke nach Luft schnappen müssen soll er, ich verlangsame meine Fahrt, kurz bevor ich ihn passiere, gebe ich im zweiten Gang nochmal richtig Gas, so kann ich trotz der Steigung ohne Gas zu geben an ihm vorbeiziehen und erspare ihm in einer schwarzen Dieselabgaswolke im Rückspielgel verschwinden. Die Strasse hat eine leichte Biegung und trotz des spärlichen Verkehrs kein guter Platz um mitten auf der Strasse zu stoppen. Der blue truck kraxelt auf den Pass, eine Stelle zum Wenden. Langsam rolle ich zurück den Berg hinunter zum einsamen Wanderer, mein Angebot ihm und seinem Anhänger den steilen Anstieg zu ersparen und ihn ein Stück mitzunehmen schlägt er aus. Andreas ist aus Deutschland, den Anhänger hat er sich extra anfertigen lassen um dieses Abenteuer den Dempster Highway zu Fuss zu erobern und sich in Selbstdisziplin, Motivation und Belastbarkeit zu testen, zu bewältigen. Ein kurzes Gespräch und ich verstehe, weshalb Andreas sich und seinen 45 Kilogramm Anhänger nicht per „free ride“ auf den Pass spedieren lassen will. Zwischen 18 und 33 Kilometer marschiert Andreas pro Tag, je nach Terrain und Strassenzustand. Andreas hat auch „meine“ Reise schon gemacht und ist per Wohnmobil von Nordamerika bis in den südlichsten Zipfel Argentiniens gereist. Nach einem kurzen Stück talwärts wende ich wieder und ziehe winkend nordwärts an Andreas vorbei, im Spiegel sehe ich wie er ein Foto schiesst. Noch weiss er nicht, was ihn am Ende der Steigung erwartet, nur ein kurzes Stück geht es bergab, bevor sich die Strasse wieder in einer leichten Biegung steil den Berg hoch zieht. Oben angelangt wird Andreas den Ogilvie Pass erreicht haben. Im Sand am Strassenrand eingekratzt wird er „Für den deutschen Dempster Wanderer, Pause auf dem Gipfel bei der Tafel“ lesen und einem Pfeil der nach rechts weisst folgen. Dort wird Andreas ein Gipfel Bierchen entdecken, dass ich für ihn unter der Tafel deponiere. Meine Gefühle für den einsamen 750 Kilometer Wanderer pendeln zwischen tiefstem Respekt und Wahnsinn. Noch wird er wohl beinahe 20 Marschtage vor sich haben. Später wird mir Andreas erzählen, dass er zu Tränen gerührt war, die Inschrift am Strassenrand zu finden und das Bierchen am Fusse der Gipfeltafel des Passes zu geniessen. Ziel erreicht.
It wasn’t me! – Den Donut hab nicht ich in den Sand gezogen.
Schnelle Wetterwechsel am Dempster Highway
Durch fantastische Landschaften hinauf aus der, hier im extremen Norden viel tiefer liegenden Baumgrenze führt mich der Dempster Highway Richtung Polarkreis.
Regenbogenfarben im Nebel
Bei Kilometer 465 überquere ich die kontinentale Wasserscheide, von hier fliessen alle Gewässer östlich davon ins Polarmeer, alle westlich in den Pazifik. Die Strasse ist meist sehr gut, teilweise sehr steinig, teilweise vom abwechselnd einsetzenden Regen sehr schlammig. Aber kaum schwierige Stellen mit tiefen Schlaglöchern. Den Polarkreis habe ich schon passiert als ich auf einer langen geraden Strecke weit vor mir ein auf dem Highway stehendes Motorrad erkenne, ich lasse den Cruiser ausrollen und nähere mich mit Schritttempo der prächtigen BMW Maschine. Genau wie mein Toyota ist die 1200er GS ganz tüchtig verdreckt. „Hi, do you need help?“ – „Don’t know yet…“ also fahre ich den blue truck ein Stück weiter und stelle ihn mit den Warnblinkern leuchtend auf der linken Strassenseite vor den Töff. Eine Reifenpanne hat für eine unfreiwillige Pause gesorgt. Ein spitzer, nur kleiner, Stein hat sich mitten auf der Lauffläche in den Reifen gebohrt. Der Motorradfahrer aus Ontario - vor lauter Reparatureifer vergessen wir vollkommen uns gegenseitig vorzustellen - hat bereits einen Reparaturversuch gemacht, brachte den Reifen aber nicht dicht. Seine Methode ist dieselbe, welche ich auch angewendet hatte bevor ich meine Reifen in Whitehorse ersetzen liess. Einen kleinen etwa 4 Millimeter langen Riss hat der Stein in den Reifen gerissen, wir stecken eines dieser Reperaturwürstchen in die lecke Stelle, ich halte dieses mit der Spitzzange fest damit es sich nicht gleich mit im inneren des Reifens verabschiedet während er gleich nochmals ein zweites dieser Dinger reinwürgt. Alles noch dick mit Gummilösung eingeschmiert, nützt es nicht so schadet es nicht. Wir warten - dem Vulkanisierungsprozess etwas Zeit gönnend. Ein kleiner Ford SUV braust heran, stoppt und eine einheimische Frau erkundigt sich ob wir o.k. sein. „I think we are… - …thank you“ und schon verschwindet der Wagen in seiner eigenen Staubwolke. Der Biker sucht ganz nervös in seinen Boxen und seiner Ausrüstung die grössten Teils am Strassenrand verteilt liegt, er hätte noch einen Satz dieser Reperaturwürstchen gehabt, sagt er „…just in case…“ für eine allfällige zweite Reparatur. Er kann sie aber nicht mehr finden. In den blue truck gekrabbelt krame ich aus meiner Rep-Kiste ein Set heraus, ich hatte in Whitehorse zwei extra Kits gekauft, widerwillig nimmt er sie an und macht sich Sorgen wenn ich diese auf meinem noch langen Weg auf dem Dempster selbst benötigen würde. „No worries, I have two more sets…“ Wir pumpen den Reifen auf, alles scheint dicht.
Eagle Plains: Parkplatz für Aviation Nuts
„Nur“ noch gut 200 Kilometer und er wird Eagle Plains erreichen und sich den Reifen definitiv reparieren lassen können. Er schenkt mir eine US Army Notration, das ist so ein etwa A4 grosses ca. 5 Zentimeter dickes Paket. Darin soll sich eine ganze Malzeit inklusive einmal Kocher befinden. Es steht gross darauf „Property of the US Government – not for resale“. Flux verschwindet das Food-Paket im Wagen, nichts ahnend was für Probleme mir das Ding beim Grenzübertritt nach Alaska besorgen könnte. Wir verabschieden uns, seine Maschine donnert Richtung Süden, der Toyota Richtung Norden.
Wohl für den Winter, im Juni ist hier 24 Stunden hell
Ein breites Grinsen eröffnet mir Einblick in ein, für jeden Zahnarzt eine Herausforderung stellendes, Gebiss des indianischen Mädchens das auf der Peel-River Fähre arbeitet, schon kramte ich nach einem Trinkgeld als ich im Rückspiegel sah wie sie einen Scheibenputzschwamm in einem Kessel mit brauner Brühe tunkt. Glaubte sie putzt mir, verkehrssicherheitsbesorgt, die Rücklichter nach der langen Schlammfahrt. „So, where’re you from?“ steht sie jetzt am Fenster, als der Griff des Scheibenputzers schon wieder in den Eimer geplumpst ist. Ich realisiere, dass es ihr gar nicht um meine Lichter ging, sie hat das Züricher Kennzeichen vom Schlamm befreit – konnte dann aber doch nicht viel mit dem ZH und den kleinen Wäppchen anfangen.
Ein geputztes ZH-Schild
Schon haben wir der Strömung trotzend über den Fluss gesetzt und ich ziehe weiter, Fort McPherson lasse ich links liegen und rolle hinunter zum McKenzie River. Der Arctic Red River fliesst hier in den McKenzie, in der Gabelung der beiden Flüsse liegt Tsiigehtchic. Die Fähre bedient drei Punkte, einerseits setzt sie die Dempster Fahrer über den McKenzie, anderseits peilt sie aber auch das Kiesbett welches in der Mündung liegt und Tsiigehtchic so mit dem Dempster Highway verbindet an. Die Strömung ist stark, man glaubt die Fähre würde einem nie abholen, wenn sie unter lautem Dieselgedröhne stromaufwärts zieht um dann in einem grossen Bogen doch noch in der Strömung driftend zurück an die Anlegestelle zu finden. Die Motoren laufen auf vollen Touren wenn sich das Schiff gegen das Flussufer drückt und die Rampe im schlammigen Kies aufschlägt. Ein Ford Pick-up versinkt Reifentief im nassen Untergrund und kämpft sich hoch auf die Strasse als mir der Fährmann zuwinkt und ich den Cruiser auf die Fähre steure.
Blue trucks unter sich
Zwei Lastwagen haben sich unterdessen in die Schlange gestellt hinter mir und nach wenigen Minuten hebt sich die Rampe, der Dieselmotor der Fähre wird kurz ruhiger um unmittelbar wieder aufzuheulen und wir stechen in die Strömung des McKenzie. Es ist schon spät abends, die Sonne scheint, ich entschliesse mich noch bis Inuvik weiter zu fahren.
Er möge sich jetzt nicht mehr um den Papierkram kümmern, ich solle doch morgen vorbeischauen sagt Vern der den offiziellen Campingplatz für die Gemeinde managed. Ich setze mich in die Mitternachtssonne und trinke zufrieden noch zwei Bierchen, bevor ich mich nichtsahnend in meine Koje verziehe. Das wilde Bellen von Vern’s Hündchen lässt mich aufwachen, ich höre ein Getrampel rund um den blue truck, spähe schlaftrunken durch das Moskitonetz, kann aber nichts erkennen, noch eine Weile hallt das Bellen des Hündchen in der Wildnis, weit weg stimmen Coyoten mit wildem Geheule ein. Schon schlafe ich wieder. Es ist am Morgen erst, als ich anhand der vielen Elchscheisse rund um den blue truck die Identität meines nächtlichen Besuchers ausmachen kann. Der hätte seinen Kopf wohl grad etwa auf derselben Höhe gehabt wie ich, als ich durchs Moskitonetz aus meinem Schlafzimmer spähte. Da hätt ich ja nicht schlecht gestaunt mit dem Tierchen Auge in Auge zu sein.
„You look like a guy who has everything…“ so lerne ich Markus kennen, davon, von den wütigen Jugendlichen und von meinem ungeplanten Treffen mit zwei Zürich Kreis 5 Gspöhnli am nördlichsten erfahrbaren Punkt von Kanada später mehr. Dempster Highway – Fortsetzung folgt.
Nebel am Wright Pass |
66°33' Zum ersten Mal über den Polarkreis
Dempster Highway
Das Putzen des Fähr-Girls hat nicht lange gehalten - blättert hier Zürich ab?