Dienstag, 18. Oktober 2011

Ich finde zu Jesus

Angst gemacht haben sie mir, die Geschichten die ich gehört habe über die mexikanischen Tankstellen und deren Tankwarte. Da war von garantiert beschissen werden die Rede, von vermeintlichen Problemen mit dem Auto zur Ablenkung, von ganzen Horden von auf Dich einblabbernden Tankwarten. Von nicht zurückgestellten Tanksäulen Zählern. Von Fingern um die sich stapelweise Geldscheine schlängeln und dein 500er dann plötzlich zum 50er verkommt.

Gut. Gegen die falsch kalibrierten Säulen, da kannst‘ echt nicht viel machen, ausser staunen, dass in Deinem Tank ganz plötzlich so viel Platz hat. Hab ich jetzt doch für den Preis des 150 Liter Zusatztankes damals in der Schweiz einen 180 Liter Tank bekommen? Na war doch ein guter Deal, nicht? Nicht?

So habe ich gebrühtet, studiert, in der Nacht wach gelegen, wie ich dem Problem Tanken in Mexico Herr werden könnte. „Always keep control“ eine Devise die ich von einem guten Freund vor vielen Jahren adoptiert habe und die mich bis heute nicht auflaufen liess.

So fahre ich dann vor der Tankstelle vor, hab mich unterwegs bei anderen Reisenden schon ein bisschen umgehört wo es sich den besser tankt, meine Tankdeckel sind verschlossen. Ich fahre mit einem grossen Bogen vor der Diesel Säule vor. Noch sitze ich im blue truck, blick in den Spiegel: Der Tankwart nervös am Tankdeckel dreht. Abgeschlossen, Sorry. Aber jetzt kommt er erst mein Auftritt: Ich springe hastig aus dem Toyota, wenn ich die Fahrertüre zustosse, dann ist auch gleich abgeschlossen, ich liebe die alte, simple Technik. Euphorisch fast schon, springe ich um den Wagen zum Tankwart, der mich stumm aber mit grossen, vorwurfsvollen Augen anschaut während er am Tankdeckel drückt, dreht, zieht. Ganz so schnell geht das nicht.

Ich strecke ihm die Hand hin, stelle mich vor „…me llamo Thomas, soy Suizo“ – „eso es el blue truck, mi coche“ - und wie heisst Du? Und wer ist er? Der da zwischen den Säulen steht und zuschaut, auch er bekommt das Thomas-Treatment. Die zwischen den Fingern eingefädelten Scheine verschwinden hastig in der Hosentasche zum Hände schütteln, ich klopfe Schultern gebe meiner ausserordentlichen Freude die alle kennen zulernen freien Lauf, wer ist hier wer, wer macht was? Es bleibt den Tankwarten nichts übrig als sich auch vorzustellen, auch freundlich zu sein, auch zu smilen. Ich ernte Blicke die mir nichts weniger vermitteln als „dieser Typ, der, der ist total aber wirklich TOTAL hundert pro abgeschnappt“.

Was kostet ein Liter Diesel? Bei einem staatlich kontrollierten Einheitspreis im ganzen Lande grad‘ nochmal eine ziemlich unerwartete Frage, keiner weiss es. Also auf der Säule gucken, muss doch dort stehen. Dafür, wusste ich gar nicht mal, muss der Zähler zurück gestellt werden, erst wenn die Literzahl auf Null ist verharrt der Preis beim Preis für nur einen Liter.

Drei, vier Minuten sind vergangen, eigentlich will ich ja tanken. Ich winke mit meinem Geld, „also muss ich für die 1200 Pesos knapp 130 Liter bekommen, nicht?“ Guckt schräg, der Tankwart, ja, ja sagt er und riegelt am Tankdeckel. „Also möchte ich gerne 120 Liter kaufen – ist das o.k. Señor?“ – „Si, si“ er drückt irgendetwas an der Tanksäule rum, die Litermenge steht auf 120 Liter und wird dort fixiert, er deutet mir „Eso es o.k.? Señor Thomas?“ während Zeig- und Mittelfinger auf die 120 Liter deuten. „Si muy bien, Señor, eso es perfecto!“ – Ich schliesse den Tankdeckel auf.

Hat Dir schon mal Jesus Deinen Wagen getankt?

Mir schon. Jesus ist verwundert, dass da so viel reinpasst, fast noch mehr verwundert als er über mich ist. Er füllt, und füllt, immer wieder springt die automatische Arretierung raus, das nervt, auch wenn Jesus sonst nichts zu tun hat, er mag nicht die ganze Zeit da an der Zapfpistole drücken. Hinter seinem Ohr zieht er einen hölzernen Zahnstocher hervor, die Enden sind ein bisschen verfötzelt und erinnern mich an die Zahnbürste die ich zu meiner zarten Jungendzeit in der Pfadi in der Pfandfinder-Bibel Thilo gesehen hatte. Bi-Pi, der Gründer der Pfadi soll sich damit die Zähne geputzt haben. So ein kleines Ästchen, mit dem Schweizer-Taschenmesser schneidet man da viele kleine Schnitte ins Astende und so wird daraus die garantiert 100% biologische Zahnbürste. Aber eben, ein bisschen so sieht der sicher gut genutzte Zahnstocher aus. Für einen Moment entgleiten meine Gedanken, ist nun der Schaft des Hölzchens so dreckig weil die Finger vom täglichen Handhaben der Tanksäule nicht für den Job in einer Apotheke geeignet wären, oder sind es die Ohren hinter denen das Hölzchen steckt, die dieses so speckig-schmuddlig werden lassen? Eben dieses sorgt dafür, dass Jesus nicht die ganze Zeit seine Hand am Zapfhahn halten muss. Es blockiert die Stellung und der Diesel fliesst. Jesus drückt sich zwischen den Zapfsäulen durch und flüstert unheimlich schnell in Spanisch mit seinem Kumpel, der unterdessen den 90er Jahre Ford Explorer einer stattlichen Señora mit schwarz gefärbten Haaren und leuchtend roten Lippen mit Benzin befüllt. Beide, nur die Señora nicht, gucken aus den Augenwinkeln zu mir.

Exakt bei 115 Litern wird die Pumpe langsam. Jesus drückt sich wieder zwischen den Tanksäulen durch, sein geübtes Ohr muss das verlangsamen des Klickklickklick wahrgenommen haben, bei 120 Litern stoppt die Säule selbständig. Er nimmt den Zahnstocher aus der Füllpistole, fummelt ein bisschen damit zwischen seinen Stockzähnen rum bevor das speckige Ding seinen Platz hinter Jesus‘ linken Ohr findet.

Ich bezahle mit 1200 Pesos, das Rückgeld gebe ich Jesus. Meine Kindheit wird mir für Sekunden gegenwärtig, meine katholische Erziehung, die Münzen die mir mein Vater sonntags gegen Ende der Messe gab, die ich dann in das mit einem Lederüberzug abgedeckte Körbchen, dessen Loch genau so gross, vielmehr so klein war, dass kein Händchen da reinpassen möge, schmeissen durfte. Wie gut! Denke ich. Hier kann ich sie Jesus direkt in die Hand drücken, die Münzen.

Ich drücke Jesus' Hand, bedanke mich für seinen Service – wieder guckt der so – schwinge mich in den Toyota, der Diesel nagelt. Ich fahre vom Hof.

Lieber verblüffen - als verblüfft werden. 



1 Kommentar:

  1. Freude am Tanken! Und der Tankwart heisst Tankwart weil er wartet, bis der Tank voll ist? Verblüffende Prozedur, tatsächlich! Da lohnt sich der Zusatztank wieder einmal doppelt.

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