Vier Fledermäuse bieten mir eine veritable Flug-Show. Ihre Flügel schimmern im Gegenlicht der vor kurzem untergegangenen Sonne, trotz ihrer schnellen Flügelschläge kann man durch ihre Flügel das strahlende Abendrot sehen. Einmal grosse Kreise fliegen, zischen sie unvermittelt, nervös einen Haken schlagend in eine andere Richtung, mückenjagend hetzen sie so eine ganze Weil vor dem roten Himmel umher. Ich sitze auf meiner Terrasse, ja liebe Leserin, lieber Leser. Glaubst Du fast nicht gell? Weil der campt doch die ganze Zeit, wie soll der jetzt eine Terrasse haben? Hast Dich grad gefragt. Aber wirklich! Ich habe einen Campingplatz mit Terrasse. Der treue blue truck steht unter einem grossen hohen Schattendach, das ist so hoch, dass ich sogar das Hubdach aufstellen konnte ohne an der Decke anzuschlagen.
Und eben, oben drauf da gibt es eine Terrasse. Eine schmale Treppe führt hinauf, über die vorderste Reihe von permanent installierten Campern sehe ich hinweg an den leeren, einsamen Strand, auf die andere Seite in die kahlen Berge der Wüste vor der mir eben die Fledermäuschen ihr Akrobatik vorführen.
Ausser mir wohnt hier noch Rick, ein grosser Mann. Viele weisse Streifen zieren seinen im riesigen Unterleibchen gekleideten Körper, anscheinend sitzt er wesentlich mehr wenn er an der Sonne ist als dass er steht. Von Santa Barbara in Kalifornien sei er, aber seit 10 Jahren hier. Sei hierher gekommen und hängen geblieben. Jedes Mal wenn er aufsteht und ein paar Schritte macht stöhnt er und verzieht das Gesicht – „you’re o.k., Rick?“ – „Oh yes, I am perfect…“ Dann gibt es noch Frosty, er hat seinen Trailer direkt vor mir installiert, ein bärtiger Alt-Hippie, mit Tatoos und grauem Rossschwanz. „Too many regulations in California…“ das hätte ihn aus dem Lande getrieben. Hier sei er fast das ganze Jahr, besuche aber dann und wann die Kinder in Colorado, dann nimmt er seinen Wohnsattelschlepper mit, lässt nur seinen Beach Buggy hier. Wie kommst Du zu Texas Schildern an Deinem Truck, frage ich Frosty. In Texas gäbe es so ´nen Club erklärt Frosty, „The Escapees“ – „Die Entkommenen“ so etwa. Da brauchst Du nicht in den USA wohnen und die machen aber alles für Dich als würdest Du, in den USA wohnen. Post wird nach Mexico geschickt und so. In Colorado arbeitet er jeweils auf dem State Park als Freiwilliger, so kann er dann kostenlos campen. Zwischendurch besucht ihn hier südlich von San Felipe seine Ex-Wife, mit der sei er seit 34 Jahren zusammen, 17 verheiratet und 17 geschieden, aber immer zusammen grinst er.
Ich bleibe zwei Nächte, schwimme im warmen Meer, kümmere mich um die Wasserpumpe die nicht mehr richtig abstellen will, hänge in der Matte, Lese, Schwimme, trinke ein Bierchen mit Frosty und Rick – nicht auf der Terrasse, da käme Rick wohl nicht hoch – aber bei Frosty vor dem Wohnauflieger. Der hat einen „Front-Row“ Platz mit direkt Blick aufs Meer. „Front-Row, das willst Du nicht…“ sagte mir Rick als ich ankam „…way too expensive!“ Viel zu teuer. Das Leben sei perfekt hier, sagt Rick während wir von Frosty's Platz über das Meer schauen, weshalb wo anders hingehen, fragt er ohne auf eine Antwort zu warten und spricht vom Wetter und von Hilary, nicht Clinton aber Hurricane Hilary, wir müssten uns keine Sorgen machen, er werde den Verlauf genau im Internet verfolgen und uns rechtzeitig warnen. Ob es in Schweden auch Hurricane's gäbe fragt er, "No in Switzerland we don't have hurricanes..." - "So wie hast Du den Toyota von Schweden nach den USA gebracht?" - "Ich habe ihn in Basel, Switzerland, verladen, den Rhein hoch..." - "Also Du hast in Schweden alles aufgegeben und bist einfach losgereist..."
Später klopft er mehrmals bei Frosty an die Tür, entschuldigt sich schon wieder zu stören. Gibt einen up-date zu Hilary, die noch viele Tage weit weg ist. Beim letzten Mal rät er Frosty mit seiner immer weichen und überfreundlichen, väterlichen Stimme, er solle doch seine Versicherungspolice überprüfen, damit er auch für Sturmschäden gedeckt sei. Frosty nickt, lächelt freundlich, mit dem Lächeln eines „Escapee“ der gar keine Versicherung hat, bedankt sich herzlich und verschwindet im gekühlten Wohnwagen. Rick stöhnt, verzieht das Gesicht schmerzvoll und schaukelt zu seinem Wohnwagen zurück.
Am Morgen startet Rick seinen 4-Wheeler, seinen vierräderigen Töff, er knattert damit um den Platz, macht vor dem grossen Eingang kehrt, parkt ihn wieder vor seinem Wohnwagen und verschwindet im etwas schräge auf vier Backsteintürmchen dastehenden, blechernen Gehäuse seines Wohnwagens, obendrauf die Klimaanlage surrt. Kaum ist er verschwunden, öffnet sich die Türe von Frosty’s Camper, mit einer Kaffee-Tasse in der Hand schlendert er zu seinem Beach-Buggy.
Tschtschtschtscht, der Anlasser dreht, aber der gute alte Käfer Boxer will nicht anspringen. Die Kaffeetasse steht auf dem kleinen Dächlein des Buggy, Frosty dreht und drückt ein bisschen am Vergaser. Er steht noch neben dem Gefährt als er den Zündschlüssel dreht. Broooom und die Kiste läuft mit dem typischen boxer-knattern eines Käfers. Frosty setzt sich in die Rohrrahmenkonstruktion. Er dreht eine Runde auf dem Platz, vor dem grossen Tor dreht er ab, parkt 2 Minuten später wieder vor seinem Camper, schnappt sich die Tasse vom Dach und verschwindet in seinem Trailer.
Life is good here – Why go somewhere else? – Zeit für mich weiter zu ziehen.