20. November 2014: Gestern beim Frühstück hat der
Kapitän ein bisschen mit uns geplaudert. Der kleine Mann spricht fliessend
Französisch, Englisch, natürlich Italienisch und es würde mich nicht erstaunen,
wenn er auch ein bisschen Deutsch verstehen würde ohne es preiszugeben. Für
8:00 Uhr ist die Abfahrt geplant, hörten wir eben gestern von ihm.
Nach dem Frühstück gehen wir hoch
auf Deck, alles ist ruhig, doch noch liegt die grosse, gelbe Rampe auf dem Pier
auf. Ursi und ich plaudern mit Gerhard, dem Steyr Piloten. Irgendwann lass ich
die beiden an der Reling, in ihr Gespräch vertieft, stehen und geh nach hinten
schauen. Gerade richtig um zu beobachten wie sich die tonnenschwere Rampe
langsam, in einer der grossen Masse respektlosen Leichtigkeit, zusammenfaltet
und mit einem dumpfen Klack an das Schiff hakt. Das Pfeifen der elektrischen
Hydraulikmotoren verstummt sofort. Ein Schlepper nähert sich von hinten und ein
kleines oranges Boot setzt je einen Mann auf den Betonplattformen ab, auf denen
die Grande Francia vertäut ist. Der Schlepper stabilisiert das grosse Schiff
von hinten während die Taue seitlich und vorne gelöst werden. Erstaunlich
schnell bewegt sich das mächtige Schiff vom Pier weg, die hydraulischen Motoren
drehen blitzschnell hoch und die Taue werden eingezogen. Der Schlepper zieht
noch eine ganze Weile stabilisierend am Schiff nach hinten während die
Bugstrahler vorne schmutziges Wasser aufwirbeln. Kaum eine halbe Stunde später gleitet
das Schiff unter der grossen Brücke durch und wir lassen das argentinische
Industriegebiet wieder an uns vorbeiziehen.
Eigenartig, wenn Du auf der einen
Seite des Schiffes stehst und hinunter aufs Land blickst, wähnst Du Dich im besagten Wirtschaftsgeographie Buch meiner Handelsschulzeit, mitten im Ruhrgebiet der 60er Jahre. Es
raucht, qualmt, stinkt und dampft. Marschierst Du quer übers Deck 13 und
schaust auf der anderen Seite runter, könntest Du Dich in einem National
Geographic Movie glauben. Wilde Bambus-Wälder, Mangroven, scheinbar endlose
Sumpfgebiete übersäht mit schwimmenden Pflanzen, bis hin zum braunen reissenden
Fluss trotzt die zum Teil schwimmende Vegetation der Strömung.
Es ist bedeckt und dunstig, fast
glauben Ursi und ich, das Petrus uns schon mal ein bisschen auf den
schweizerischen Hochnebel trainieren will. Doch die Sonne behauptet sich
beinahe und drückt immer mal wieder durch. Der Wind ist nur mässig und ohne das
konstante Runterbrennen der frühsommerlichen Südhemisphären Sonne ist es
gemütlich draussen zu sitzen. Lesen – auf Deck rumspazieren – in die Landschaft
raus gucken – Schiffe beobachten – kurz mit Crew oder Passagieren ein Wort
wechseln – wieder lesen – Essen – noch mehr essen – wieder lesen, wieder gucken,
wieder plaudern… Ich muss sagen, mir gefällt diese, von vielen als langweilig
beschriebene, Schifffahrt schon jetzt.
Ein riesiges Krokodil schwimmt
kaum sichtbar flussaufwärts, in den Bambus Büschen wackelt es so, wie es nur
kann wenn ein mächtiges Tier sich darin bewegt, über den Wipfeln der Bäume
braust ein Flugsaurier mit länglichem Kopf und grimmiger Visage daher. Meine
Phantasie entgleitet in meinen ganz eigenen Jurassic-Park, wenn mein Augen über
das der ganzen Industrie gegenüberliegende, grüne Sumpfland schweifen.
Nachmittags treiben wir eine
Stunde Sport im Fitnessraum. Da kann ich meine Phantasie schon wieder
beflügeln, die prächtige Landschaft um den aargauischen Hallwilersee stell ich
mir vor, während ich auf der Rudermaschine an die öde Wand glotze. Am
Hallwilersee fuhr ich als Teenager of mit meinem Vater Kanu un noch früher hatte ich als Kind in den Schulferien mit meinem grösseren Bruder
Stef gefischt. Wir zogen früh morgens los. Meine gelb-blaue Fischerrute
liess sich nicht zusammenklappen und war am Stück. Mein Vater hatte sie mir
einst im Tessin gekauft, nach dem ich als jüngster der vier Kinder immer nur
mit einem an einem Haselstecken angebundenen Handfischzeugs gefischt hatte. Ich
war unendlich stolz auf meine kleine gelbe Rute, nur eben die liess sich so
schlecht auf dem Velo transportieren. Ich musste sie immer mit ein paar
Schnüren entlang der Längsstange des Fahrrades befestigen. Stefan und ich brachen
in unserem Dorf noch im Dunkeln auf und schon die Fahrt vom Wynen- ins Seetal
war ein Erlebnis für sich. Die kurze Fahrt das Tal runter ins Nachbardorf war
für eine ganze Weile die einzige Talfahrt. Dann kämpften wir uns hoch nach
Dürrenäsch und erst dann ging‘s wieder talwärts. Eine kleine Strasse führte
durch Felder und Wiesen, heute ist dort längst Fahrverbot. Damals führte uns
dieser Weg direkt vorbei an einer mittelalterlichen Mühle mit Wasserrad zum Schloss Hallwil.
Von dort wurde es immer ein bisschen kribbelig weil der Uferweg vom Schloss
entlang dem Aabach bis zum Schiffsteg Seengen eigentlich Fahrverbot, selbst für Fahrräder, gewesen
wäre. Aber ausser ganz selten einem frühen Hündeler der seinen Bello gassi führte, gab es da keine Menschen die uns das Fahren verderben konnten. Und wenn
doch jemand komisch dreinschaute, traten wir einfach ganz heftig in die Pedale
und bevor wir irgendwas verstehen konnten von dem was die Leute sagten waren
wir schon weg. Witzig, jetzt sitz ich an dieser knirschenden und quietschenden,
italienischen Rudermaschine und denke an die Tage an denen ich mit Stef am
Hallwilersee gefischt hatte. Oder eigentlich bin ich erst auf dem Umweg dazu
gekommen, da ich mir das Rudern auf eben diesem See vorstelle, statt die nackte
Wand anzustarren. Die umliegenden Dörfer mit ihren Kirchtürmen die nie ganz
genau miteinander die Stunden schlugen. Das kräftige Grün der Felder und Wälder,
das leuchtende Gelb der Rapsfelder und das Gold des Korns im Herbst. So fällt
es mir grad viel einfacher, das Rudern. Sonst ist es ein bisschen schwierig sich im dusteren, fensterlosen Raum zu motivieren.
In der dunstgefilterten
Abendsonne gönnen Ursi und ich uns einen Apéro, draussen auf Deck. Schon bald
gibt es wieder Abendessen. Wir plaudern mit den anderen Gästen, hören Olivier
zu, der ohne seine Familie diese Reise gemacht hat und sehr
mitteilungsbedürftig scheint. Zuhören ist schliesslich der wichtigste Teil
einer Unterhaltung. „Wenn Du redest erzählst Du Dinge die Du schon weisst –
wenn Du zuhörst kannst Du wo möglich etwas ganz neues lernen“ soll der Dalai-Lama
mal gesagt haben.
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