Unterwegs auf dem Mar de la Plata |
18. November 2014. Der Wecker geht pünktlich, denn um 7:30 Uhr heisst es zum Frühstück antreten. Ich lege das eingeschaltete Garmin GPS ans Fenster und sehe, dass wir eben die Grenze zwischen Uruguay und Argentinien überfahren haben. Ohne das geringste Zutun hat das Garmin die Zeitzone geändert. Ja sind wir jetzt eine Stunde zu früh? Ist jetzt erst 6: 30 und nicht bereits Frühstückszeit? In der Offiziersmesse, also nicht dass ich jetzt bereits bei der Grimaldi befördert wurde, aber das ist da, wo auch die Passagiere speisen dürfen, löst sich das Rätsel. Keine Zeitverschiebung. Alle anderen Passagiere sitzen schon brav und artig bei Kaffee und frischen Brötchen.
Einer kommt |
Einer geht |
Unser erster richtiger Tag an Board verläuft geruhsam. In jeder Hinsicht: Kein Kotzen, kein Schaukeln, kein Garnichts. Nur das sonore Summen der Motoren und die Stolperschwellen in den Türen lassen Dich überhaupt wissen, dass Du an Bord eines Hochseefrachters bist. Prächtiges Wetter begleitet uns den ganzen weg. Während wir mit knapp 17 Knoten den Rio de la Plata hochfahren, können wir schon bald die Skyline von Buenos Aires im Süden ausmachen. Mit grosser Geschwindigkeit nähert sich ein roter kleiner Katamaran, die grosse Aufschrift lässt keinen Zweifel Pilots, der eine Lotse steigt über ein paar Stufen hinauf und verschwindet in einem Loch im Schiffsrumpf, während wenige Minuten später ein anderer das Schiff verlässt. Ordentlich viel Frachtschiffverkehr hat es und viele Schiffe scheinen vor der argentinischen Hauptstadt vor Anker zu liegen. Ich wechsle ein paar Worte mit einem Philippino der an Deck erscheint um eine Zigi zu rauchen. Er meint, wir würden womöglich bis 3 Tage ankern, bevor wir in Zarate anlegen könnten. Aber wissen tue er das auch nicht genau.
Eigenartig sowas, da reist Du auf einem Schiff und die Zeit vergeht wie im Flug. Und wenn Du auf einem dieser dreizehn, vierzehnstündigen Langstrecken-Flüge hockst, glaubst Du die Zeit läuft so langsam wie auf einem Ozeandampfer. Komisch, nicht? Egal, jedenfalls sind wir schon bald wieder bei einem Tageshöhepunkt angelangt, dem Mittagessen. Wir fragen uns, was für heikle Menschen das wohl waren, die wir unterwegs getroffen haben, die sich über die Küche auf den Grimaldi Schiffen beschwert haben. Vielleicht haben wir auch einfach Glück. Unser Koch Francesco jedenfalls zaubert wieder leckere vier Gänge auf den Tisch. Dazu gibt’s immer ein kleines Fläschchen Wein für jeden der mag. Domenico, der Stuart kann nicht verstehen, dass einige den Wein nicht wollen „…ist doch alles schon bezahlt…“
Nach dem Essen verlässt die Grande Francia den Rio de la Plata und steuert in die Flussmündung des Rio Paraná. Irgendwie erscheint es ein bisschen eng hier für unsere 214 Meter und die entsprechende Breite von 34 solchen. Auch wenn von hier oben vom Deck 13 alles sehr überschaubar ist, so lässt sich nicht bestreiten, dass die Mehrheit von was man sieht Sumpf- und Waldgebiet ist. Interessant, wir kreuzen im Viertelstundentakt ebenso grosse Meereskreuzer, überholen den einen oder lassen den anderen passieren, dazu kommen noch die typischen Fluss-Schiffe die meist hilflos überladen scheinen. Erstaunlich all das auf einem Fluss. Eine spannende Fahrt. Logisch, ich verbringe den ganzen Nachmittag an Deck. Zu spannend für mich, die ganze Sache. Kennst Du das Gefühl, wenn Du manchmal gar nicht weisst, ob Du links, rechts, vorne oder hinten gucken sollst.
Und ich mein jetzt nicht, mein lieber Blog-Leser, wenn Du im Sommer an Rio’s Copacabana spazieren gehst! So ist das für mich an diesem Nachmittag. Nach kleinen Fischerhäusern und der einen oder anderen Lodge, allesamt nur per Schiff erreichbar, beginnt sich nach und nach eine Industriezone zu zeigen. Ein, zwei Schiff-Friedhöfe (wie schreibt man denn das wieder richtig nach der neuen deutschen Rechtschreibung, drei „f“, mmmhh?), dann wieder viel Grün, einige Seitenkanäle die zum Teil schon wieder zugewachsen scheinen, immer mal wieder eine ärmliche Hütte, da und dort Kinder am Planschen im sandbraunen Wasser oder Männer am Fischen.
Dann folgt ein minutiös abgeholztes riesen Gebiet mit hohem Zaun und einer Strasse aussen und innen am Zaun. Es erinnert mich an meine frühere Arbeit am Flughafen. Eine Grosszahl weisser Tanks jeder mit einer schwarzen Treppe die sich der Seite entlang windet steigen aus dem kräftigen grün, kurz geschoren wie die Frisur eines US Marines. Am Dock liegt ein riesiges belgisches Schiff. In seinem stechenden Orange, weiss und grau steht es im Vergleich zu den Kreuzern unter der Flagge von Panama, Malta oder den Bahamas die uns begegnet sind, aus als wär es auf der Jungfernfahrt, so neu und frisch. Weitere Tank Lager folgen, einige erst im Bau andere schon wieder im rostigen Ruhestand. Eine gelbliche Smogwolke am Horizont kündigt schon das Industrie Gebiet vor und um Zarate an und die letzte Stunde fahren wir entlang von Kohlelagern, Raffinerien und Eisenhütten. Ein ernüchternder Anblick für jemanden wie mich, ein Schweizer, die wir derartige Schwerindustrie nur noch aus dem Wirtschaftsgeographie-Buch kennen.
Genau dahin wandern meine Gedanken, die Samstage und Abende die ich mir nach den harten Tagen und Wochen als Lastwagen Mechaniker in der Handelsschule um die Ohren schlug. Unsere Wirtschaftsgeographie Lehrerin war eine pfiffige, junge, kleine, prall-kurvige Frau. Wie ich da so zum Gebrumme der Grimaldi Dieselmaschinen den metallenen Geruch der Schwerindustrie einatme und in Gedanken viele Jahre zurück geworfen bin, frage ich mich, ob Wirtschaftsgeographie gar ihretwegen mein Lieblingsfach war. Jedenfalls schloss ich weder in Französisch noch in Buchhaltung mit einer 5-6 ab, in Wirtschaftsgeographie aber schon. Wieviel hat das denn wirklich mit der Lehrerin zu tun, der Abschluss, frag ich mich jetzt wie wir an einer Stahlrohr-Fabrik vorbei schippern. Könnt ja eigentlich schon sein, dass es mehr damit auf sich hat als wir wahr haben wollen. Mein Buchhaltungslehrer zum Beispiel der Tat dem Fach alle Ehre, das war so ein kleiner zwar immer sehr korrekt freundlicher Mann. Die Hosen immer ein bisschen zu kurz, so dass man selbst im Gehen seine bieder englisch-gemusterten Socken erspähen konnte. Sein Haar noch reichlich und ebenso reichlich schon ergraut. Meist trug er karierte Hemden, manchmal eine unifarbene Krawatte und einen gestrickten Pullunder der sich, farblich weder mit Krawatte, Hemd noch Hose besonders gut vertrug. In Buchhaltung schloss ich mit einem Viereinhalber oder so was ab. Also doch? – Egal. Auf jeden Fall erinnere ich mich wie wir diesen rauchenden Kaminen entlang fahren, wie ich die Rohre sehe wo in luftiger Höhe Gas abgefackelt wird, die Caterpilars an denen kein farbiges Teil mehr zu sehen ist vor lauter Kohlestaub, eben an diese Wirtschaftsgeographiestunden und die Diashows und kurzen Filme mit denen besagte Lehrerin uns den Unterricht versüsste. Ob sie immer noch Lehrerin ist, ob sie immer noch diesen Drive drauf hat der die Studentinnen und Studenten so mitriss?
Ein kurzes Signal aus dem Schiffshorn reisst mich aus den Gedanken an kleine kurvige Lehrerinnen und spannende Schulstunden. Der Kapitän lotst das riesen Schiff souverän durch ein riesiges S im Rio. Vor uns spannt sich eine eindrücklich Hängebrücke in atemberaubender Höhe über den Fluss. 18:00, Zeit fürs Abendessen. Komisch, ich hab nichts gemacht, viel zu viel zu Mittag gegessen und doch einen freudigen Hunger im Magen.
Nach dem Abendessen verfolgen wir von Deck 13 die Prozedur, wie der riesige Kahn sanft und gut kontrolliert am Pier anlegt. Kurz darauf entfaltet sich die mächtige, gelbe Rampe und als erster marschiert der Lotse von Bord. Sein Tag ist gelaufen. Er schüttelt zwei, drei Hände und verschwindet hinter den getönten Scheiben eins VWs der noch bevor die Türe ganz geschlossen ist fahrt annimmt und davon braust. Eine ganze Zeit läuft nicht viel. Wohl müssen zuerst Zollformalitäten erledigt werden, bevor die ersten Mähdrescher in der Abenddämmerung von Bord gefahren werden. Während wir uns in die Koje hauen wird die ganze Nacht über weiter gearbeitet. Ursi holt ihren Mac hervor und wir gucken uns bei einem Schlummi-Bierchen den rührenden Film „Intouchables“ auf dem Computer an. Kurz darauf summen uns die Hilfsmotoren in den Schlaf. In meinen Träumen geht es weder um kurvige Lehrerinnen noch um bünzlige Buchhalter. Ich muss irgendwo durch einen Wald marschieren, der endlos scheint und je weiter ich komm umso mehr Menschen wandern in dieselbe Richtung, alle scheinen was zu suchen, so auch ich, ich frage eine Frau was sie sucht, sie sagt sie hätte keine Zeit zu antworten sie müsse weitersuchen, alle gehen wir in dieselbe Richtung…
Fluss Kähne...
...und Hochseefrachter treffen sich in Zarate.
Die Sonne geht über dem Autolagrer in Zarate unter...
...während an Deck in die Nacht hinein gearbeitet wird.
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