Donnerstag, 3. November 2011

Adelante, Adelante!


Wunderschön ist die junge Frau die mir das Ticket durch das kleine Aluminiumfensterchen verkauft. Endlich mal eine Dame die nicht so eine Michelin-Figur hat. Vermute ich, sehe ja nicht wirklich viel durch die kleine Luke. Sie gibt sich viel Mühe langsam spanisch zu sprechen und muss lachen über mich mit meiner Mühe ihre Fragen zu beantworten und die Zahlen von Autonummer oder Pass auf Spanisch richtig auf die Reihe zu bringen. Sie lächelt mich freundlich an, hackte dann eifrig auf ihrem Computer, guckt mich mit ihren grossen dunklen Augen fragend an, will wissen wie lange den mein Toyota sei. Wieder wendet sie sich dem Computer zu, ihre zu einem Rosschwanz zusammengebundenen Haare tanzen lustig auf und ab über dem Gummibändchen mit dem sie zusammengeschnürt sind während sie auf Ihrer Computertastatur arbeitet.

Alsbald wendet sich das schöne Mädchen wieder mir zu, erklärt mir, was sie da für mich in Händen hält: Ein Ticket fürs Auto, eines für mich, mit der Sitznummer auf der Fähre und dass ich damit auch noch etwas zu Essen bekomme auf dem Schiff. Ich habe schon gehört, dass das Essen auf diesen Schiffen ziemlich schlimm sein soll und auch nicht seekrankheitsgefährdete Menschen zum Kotzen bringen könnte. Mal sehen ob ich vom all inklusive Angebot Gebrauch mache. Durch das kleine Aluminium gerahmte Fensterchen verabschiede ich mich. – Manchmal könnte ein Ticket kaufen ruhig ein bisschen länger dauern.



Knurren, knattern, röhren, nageln, vibrierendes Scheppern rund um mich herum, ich stehe in Mitten einer Schlange von qualmenden, stinkenden Lastwagen. Obwohl ich Mexico nicht verlassen werde, muss ich eine Zollstelle passieren. Der junge Soldat an der Grenzstelle lehnt gelangweilt an einem Stahlträger des Schattendachs, ein Bein angezogen am Träger abgestützt und schreibt auf seinem, schlecht zu einem latino Macho passenden, rosaroten, Handy ein SMS, sein Maschinengewehr baumelt vor ihm am Riemen. Er schmunzelt zufrieden als er das Handy in der Seitentasche seiner Kämpferhose verschwinden lässt und guckt für eine Sekunde  mit dem Blick eines Kindes das beim Klauen erwischt wurde in die Schlange der wartenden Fahrzeuge, sofort nimmt er Haltung an und mimt den strengen, autoritären Soldaten, beide Hände halten sein Sturmgewehr nun schräge vor seinem Körper. Sein noch bubenhaftes Gesicht will nicht so richtig zu seiner Macht demonstrierenden Haltung passen. Trillerpfeifen ertönen, auf der Seite des Lastwagens vor mir steigt eine schwarze Dieselabgaswolke auf und der Tross setzt sich in Bewegung. Nur kurz. Schon steht der Lastwagen vor mir, der Staatszöllner will vom Chauffeur wissen, was er geladen hat. Dieser grinst irgendetwas und lamentiert. Der Zöllner deutet, dass er den Laderaum öffnen solle. Der Lastwagen hat einen aus Stahlblechen und rechteckigen Eisenrohren zusammengeschweissten Aufbau. Die hinteren Schwingtüren werden je mit einem Heble gesichert, der sich direkt mit einer Schlaufe im Chassis arretiert. Es poltert auf der Ladefläche. Der Chauffeur grinst und deutet ängstlich, dass er nicht aufmachen könne, es sei ein wilder Toro dort drinnen, zuerst guckt der Chauffeur durch den Schlitz der zwischen den beiden verschlossenen rostigen Türen Einblick auf die Ladefläche gewährt. Es knallt und das Auto schüttelt sich ein wenig. Der Chauffeur schreckt zurück und deutet dem Zöllner durch den Schlitz zu spähen. Dieser hat wenig Interesse daran, er gibt dem Chauffeur der immer noch verlegen unter seinem buschigen, ungeschnittenen , grauschwarzen Schnurrbart grinst einen Stapel Papiere die er zu einer engen Rolle geformt hat mit einem Schlag, der dem eines seinen Schüler züchtigenden Lehrers gleicht, in die offen ausgestreckte Hand zurück. Er weist ihn zur Seite und schickt ihn ins Gebäude. Der Lastwagen schüttelt sich nochmal und  rüttelt und qualmt und macht die Bahn frei für den blue truck.  

Wenige Fragen, ein äusserst freundlicher Zöllner, Papiere und Ticket werden kontrolliert, der Pass kritisch beäugt: "Adelante, adelante" und schon nagelt auch der blue truck unter dem Schattendach durch und in einem grossen Bogen Richtung Terminal, wo ich vor kurzem noch mit der Hübschen im Alu-Kabäuschen dealen durfte. Dicke ausgediente Taue sind über die Strasse gelegt und sorgen dafür dass sich der Verkehr nur langsamer als Schritttempo Richtung Fähre schlängelt. Nochmals werde ich gestoppt. Ein freundlicher Herr mit Leuchtweste und brauner Uniform stellt sich mit seinem Clip-Board vor den Toyota und notiert die Autonummer in einer Liste. Dann winkt er mich heran, bläst kurz mit der Trillerpfeife bevor diese am Schnürchen über seinem Bauch baumelnd hängen bleibt und er ruft „Adelante, adelante“ vorsichtig kriecht der Land Cruiser über zwei weitere Taue. Schon kann ich den offen stehenden Schlund der Fähre sehen als ich erneut von einem auf cool machenden jungen Typen in blauem Uniform Hemd, Leuchtweste und sich eng um seinen grossen Kopfschlingenden Mountainbiker-Sonnenbrille gestoppt werde. Seine dicken Backen und Schläfen sind ein bisschen eingeschnitten von der eng anliegenden Brille. Er brabbelt schnell und undeutlich, ich verstehe kein Wort, begrüsse ihn und erahne aus der Situation, dass er mein Ticket sehen möchte. Er guckt es an reist eine Ecke von beiden Computertickets weg und aus seiner Mundecke fällt ein „Adelante, adelante!“ Vorsichtig steure ich den blue truck die Rampe hoch, auf der Seite steht ein Mann im orangen Overall im Schatten der offenstehenden Ladebrücke, als er mich sieht fuchtelt er wild mit dem rechten Arm „Adelante, adelante!“ ruft er. Es geht aufwärts und gleich durch einen schmalen Gang wieder abwärts in den Bauch der Fähre, als die steile Rampe unten im Schiffsbauch auf dem Fahrzeugdeck 1 endet, stehen da die Autos in beiden Richtungen, die einen mit der Schnauze zu mir, die anderen mit dem Heck mir entgegen. Vor mir kurbelt eine Frau wild am Steuerrad ihres weissen Chevi Pick-ups und setzt vor und zurück um dann vor einem mit Taschenlampe bewehrten Trillerpfeifen-Pfeifer zum stehen zu kommen, ich tue es ihr gleich und wende so den blue truck um 180°, der orange eingekleidete Mann fuchtelt mit der Lampe und ich rolle ihm langsam entgegen. Seine Trillerpfeife gibt laufend kurze Laute von sich und signalisiert mir dann mit einem anhaltenden Pfeifton, dass ich stoppen soll. Stumm zeigt er mir den Weg zur schmalen Treppe. Die Geländer waren einst gelb gestrichen, jahrelanges Greifen von Chauffeuren- und Mechanikerhänden haben die Oberfläche des Metallrohrs zu einer klebrig-griffigen, gelbschwarzen Ummantelung des Rohrs werden lassen.



Mit verschieden grossen Klebern an den Wänden werde ich über verschiedene Fahrzeugdecks zur Rezeption geleitet. Kurz davor werde ich von einem Sicherheitsmann gestoppt. Der will wissen woher ich komme, vom Fahrzeugdeck 1 sage ich. Er will mein Ticket sehen und macht mit einem schwarzen Filzer eine übergrosse „1“ darauf.  Eine korpulente junge Frau in einer prallausgefüllten Uniform die an ein Zimmermädchen im Hotel erinnert, sitzt hinter einer Glasscheibe die auf Gesichtshöhe ein grosses, rundes Loch herausgeschnitten hat. Durch einen Schlitz in der Scheibe gleich über der Theke reiche ich ihr das Ticket. Sie erklärt mir welche Treppe ich hochsteigen muss um dann meinen Sitz zu finden.


Rote Stöckelschuhe, enge Hotpants, ein nicht wirklich kanckiger Arsch, ein jedes Würstchen engumschliessendes schwarzes Top und eine Menge verdrehter mexikanischer Männerköpfe. Sie kichern wie Teenage-Knaben, die Männergruppe zwischen Mitte zwanzig und Mitte fünfzig, eben noch beschäftigt mit sich selbst fotografieren mit Handykameras und bunten Digicams – die roten Stöckelschuhe und die kurzen Jeans Hotpants haben sie alle aus dem Konzept gebracht. Schnauzbärtige Mundecken ziehen sich grinsend Richtung Ohren und mann flüstert sich grinsend und kichernd was zu.  Noch im Hafen von Pichilingue, östlich von La Paz, Baja California Sur.


Fuchtelnde Hände, auf Trillerpfeifen zusammengekniffene Lippen, Leuchtwesten und Radkeile, noch werden die Lastwagen rückwärts auf das oberste Fährdeck manövriert. Je nach Windstoss fegt ein Schwall stinkender Dieselabgase über das offene oberste Passagierdeck der California Star. Der blue truck schlummert tief unten im Bauch der Fähre.


Ich steige hinauf durch die verschiedenen Decks und alsbald stöckelt die besagte Dame in ihren ein wenig zu grossen roten Schuhen vor der Männergruppe vorbei, vorsichtig nimmt sie Tritt um Tritt, hinunter auf der Decktreppe.




Wenig später qualmt es schwarz aus dem Schornstein des Schiffes und die Fähre setzt sich mit knapp einer halben Stunde Verspätung in Bewegung und sticht Richtung Topolobampo in die Sea of Cortes.





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