17. Dezember
Na da kam ja lange nix. Ich weiss
nicht so recht, irgendwie hat es ja gedauert und gedauert mit diesem, beinahe
letzten Post der Reise auf der Grande Francia, dem Grimaldi Frachter. Wollt‘
ich da vielleicht einfach nicht ganz fertig machen? Fertig mit der Reise auf
dem amerikanischen Kontinent. Fertig mit Grimaldi. Unbewusst alles noch ein klitzeklein
wenig rauszögern? Ein Trick einfach noch nicht ganz angekommen zu sein, in dem
ich eben auf meinem Blog noch gar nicht von der Grande Francia gerollt bin?
Längst nämlich in der Schweiz,
fast schon wieder ein wenig angepasst. Und da kommt er doch noch, nicht der
jüngste, aber der letzte Tag. Der letzte Tag an Bord der Grande Francia.
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„Wat kost’n det, so’n Land Rover
von Südamerika hierher zu schippern?“ – „Ist kein Land Rover…“ aber ich gebe
bereitwillig Auskunft. Die zwei Beamten scheinen vor allem an den monetären
Faktoren einer Reise interessiert zu sein: Wieviel kostet es für die
Passagiere, wieviel für den „Land Rover“, wieviel Geld braucht man auf einer
mehrjährigen Reise mit dem eigenen Auto, wie kommt man dazu und wie lange muss
man sparen. Irgendwann springt der Golden Retriever freudig mit dem Schwanz
wedelnd aus dem Heck es blue truck, hinterher klettert die gehässige Beamtin
die mir einen missmutigen Blick zuwirft. Nichts
gefunden, denk ich mir, sonst wär die garantiert besser drauf. Der Hund
krabbelt hoch auf den Beifahrersitz. Von dort mit den Vorderpfoten auf das
Armaturenbrett, mal links, mal rechts, mit den Hinterläufen sackt er zwischen
den Sitzen ein und verstrickt sich fast ein bisschen zwischen Handbremse und
den Schaltstöcken bevor er auf meinem Drivers-Seat Platz nimmt. Als er vor
lauter eifrigem Rumschnüffeln mit der Pfote kurz auf den Hornknopf drückt erschrickt
er selbst ganz tüchtig. So gehörig, dass er mit einem Satz raus ist, er springt aus der Fahrertür und wild auf dem
Car-Deck hin und her und will mit seiner Herrin spielen. Die wirft mir wieder
diesen grimmigen Blick zu, als wäre ich Schuld, dass ihr Hund mein Horn
drückt. Ich werde gebeten den Motorraum zu öffnen. Gefügig reisse ich die
Klappe auf. Während mich die anderen zwei Beamten weiter interviewen über wie
lange man sparen muss, hebt die Hundezöllnerin den Hund hoch auf den Motor. Dem
ist nicht so richtig wohl, weil er kaum irgendwo festen Halt findet. Er
krabbelt aber wacker mehrere Minuten auf Motor und auf den Filtern rum, dann
erlöst er sich selbst mit einem grossen Satz und springt vom Motor runter. Auf
dem Boden landend scheinen dem armen Hund die Pfoten wie auf einem Eisfeld
davon zu rutschen. Der stahlblecherne Boden bietet den Hundepfötchen wenig
Halt. Schwanzwedelnd springt er auf seine Herrin zu (würd mir bei der grimmigen Tante ja nicht passieren) wird mit ein paar
lobenden Worten an gebrummelt, bekommt was Knabbriges aus der leuchtfarbenen
Jackentasche und darf schnell ein bisschen Ball spielen. Alsbald ist aber aus
mit lustig, jetzt muss das Tier unten durch. Da scheint ihm der Spiessrutenlauf
über Luft- und Dieselfilter, über Ventildeckel und Einspritzleitungen eben auf
dem Motor gerade noch gefallen zu haben. Da unten ist es dem Köter definitiv zu
eng, immer sucht er sich schnell wieder einen Ausweg um wieder aufrecht gehen
zu können. Seine Herrin kommandiert kurz und mit für Nichthunde
unverständlichen Worten, packt ihn am Halsband und schon kriecht er wieder
unter dem Toyota durch. Und gleich wieder raus. Nach drei oder vier dieser
Prozeduren hat nicht nur der Hund genug. Auch der Hundeführerin reicht’s. Der
Hund springt erfreut rum, darf ein bisschen Ballspielen und bekommt noch mal
was aus der Jackentasche. Als er freudig wedelnd auf mich zuläuft, der immer
noch von zwei Derrick-alike Beamten flankiert ist, wird er energisch
zurückgepfiffen. Diese ganze Prozedur dauert gut und gerne 20 Minuten. Dann
wird mein Toyota als drogenfrei klassifiziert, ich könnte jetzt runterfahren
meinen die Zöllner und verabschieden sich freundlich mit einem Händeschütteln.
Von Frau Hunde-Herrchen werde ich nochmals mit einem grimmigen Blick und einem
knappen Kopfnicken beglückt.
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Mit einem Knarren streckt sich
der Toyota einige Zentimeter aus den Federn als ich die Spanngurten vorne und
hinten durch ihre Verschlüsse sausen lasse, die Keile sind unter den Räder weg
gekickt und auch nach einem Monat Pause springt der 4.2 Liter Diesel willig
nagelnd an. Ich manövriere den Toyota hinter der Säule hervor, hinter die wir
vor exakt einem Monat millimetergenau eingewiesen wurden. Und schon rollen wir
runter auf Deck 3 und von dort auf die Rampe und vom Schiff.
4 Jahre und 7 Monate, 4 Sätze
Reifen, 2 Sätze vordere Bremsklötze und über 160‘000 Kilometer ist es her seit
der blue truck zum letzten Mal europäischen Boden unter seinen Rädern hatte.
Damals hatte ich ihn nach Basel gefahren, an den Rheinhafen wo er alsbald in
einem 20 Fuss Container verschwand und seine Reise in die USA antrat. Für mich
ist es irgendwie eigenartig, ich bin ja zwar mehrmals während der langen Reise
zurück in die Schweiz geflogen aber jetzt, mitsamt dem Toyota wieder auf
europäischem Festland zu rollen ist schon ein spezieller Moment, ein bisschen
Wehmut, ein bisschen Freude und keine Zeit irgendwas davon überhaupt richtig
wahrzunehmen.
Wir rollen vorbei an einer grünen
Lampe um gleich vor einer rotweissen Schranke zum Stehen zu kommen. Im
Rückspiegel sehe ich wie sich auch hinter uns eine rotweisse Schranke senkt.
Kein Entkommen mehr. „Ja wo kommt ihr
denn her?“ will der Mann in Leuchtweste im Häuschen wissen. „Aus Uruguay,
gerade mit der Grande Francia“ angekommen, ich händige ihm unsere Papiere,
Pässe und den Fahrzeugausweis aus. „Ne, ne…“ er will das alles nicht. So
schnell gehe das nicht. Meint er. Da sei ich ein bisschen voreilig in seine Schleuse
gefahren. Wir könnten nur raus, wenn wir mit einem Agenten einen Zollcheck
gemacht hätten. Ich erzähl was von der grimmigen Hundeführerin und den
wunderfitzigen Zöllner und dass wir das alles schon erledigt hätten. Weder
vorne noch hinten könne er uns nun rauslassen, meint er während er in sein
Telefon zu sprechen beginnt. So sitzen wir fest.
Fünf Minuten später kommt einer
daher. Internationale Uniform: Diese Leuchtwesten scheinen eine globale
Uniformierung geworden zu sein. Ob Du einen Schulbus fährst in Alaska oder auf
einer Baustelle arbeitest in Kolumbien, ob Du Motorrad fährst in Bolivien oder
eben wie dieser Herr bei einer Sicherheitsfirma in Hamburg arbeitest,
Leuchtweste ein Muss. Der Typ hat ganz kurz geschorene Haare oben auf der Stirn
stehen sie aber in so einer Tintin-Locke vom Kopf, mit der von der Leuchtweste
mal abgesehen schwarzen Uniform und den Springerstiefeln gibt ihm das so ein
bisschen ein Schwulen-Klischee-Aussehen. Freundlich ist er: Kein Problem, sagt
er beruhigend mit gespielter „alles im Griff“ Betonung. An einer elastischen
Schnur zieht er an einem riesigen Schlüsselbund der jeden Gefängniswärter vor
Neid im Boden versinken liesse, im Rückspiegel sehe ich wie er gleichzeitig in
sein Handy plaudert und einen seiner vielen Schlüssel in das Gehäuse des
Schrankenpfeilers steckt. Und das Rotweissrot hinter uns schnellt in kleinen,
ruckeligen Bewegungen hoch. Wir parken auf einem kleinen Parkplatz innerhalb
der „Niemandslands“ Zone. Ein anderer Beamter kommt, verpasst dem Toyota einen
Kleber mit Strichcode. John Wayne könnte es nicht besser, er zieht aus einem
Halfter einen revolverähnlichen Leser und scannt den Code auch gleich ein.
Tintin-Locke begleitet uns durch eine feuerverzinkte stählerne Drehtür durch
die er uns nur mit seinem Badge durchschleusen kann. Von da geht es in einen
Selbstbedienungs-Raum. Irgendwie müssen wir uns an einem kleinen Gerät erfassen,
damit wir zu einer Laufnummer kommen. Ein seinem Job gerecht werdender
brummiger, aber überaus freundlicher Brummi-Fahrer hilft uns und erklärt uns
wie’s weiter geht. 10 Minuten später werden wir von einem Flachbildschirm
eingeladen uns im oberen Stock zu melden. Schon im Treppenhaus werden wir
wieder von einem Trucker, natürlich, ja Du hast’s rausgefunden, in Leuchtweste,
freundlich Richtung unseres Schalters gewiesen. Dort werden wir nach einer
Menge Dinge gefragt, Laufzettel? Hafenpass? Frachtbrief? Lauter Dinge die wir
nicht haben. Wir erklären: Privater PKW, ja - mit Schweizer Zulassung, ja - von
Südamerika kommend, ja - nein, nicht im Container – ja, der steht schon
draussen und wir sind auf eigenen Rädern hier vorgefahren. Geht irgendwie alles
nicht und übersteigt die Kompetenzen der netten Dame mit dem tiefschwarz
gefärbten Haaren und den violetten Augendeckeln hinter der Scheibe. Minuten
später verschwinden wir hinter einer Tür auf der „Kein Zutritt“ steht. Ein
riesiges Büro, trotzdem sind nur drei oder vier Arbeitsplätze eingerichtet.
Unterdessen ist eigentlich Mittagszeit. An einem der Schreibtische sitzt ein
junger, betont freundlicher Herr, er erklärt uns wie der Prozess nun ablaufe,
dass er warten müsse, warten bis wir im System erscheinen, also unser Auto. Das
nachdem John Wayne unser Auto mit einem Bar-Code versehen hat nun jeden
Augenblick geschehen sollte. Er gibt schon mal unsere Daten ins „Hafen-System“
ein. Wie er so Hafen-System sagt muss ich unweigerlich an weiss emaillierte
Töpfe denken, die noch unsere Grosseltern unter ihre Bettkante schoben. Aber
ausser meiner davon gleitenden Fantasie hat das Hamburger-Hafen-System sehr wenig
mit dem Hafen-System meiner Urgrosseltern zu tun. Obwohl da vermutlich auch
schon mal dasselbe drin landet. Scheisse. Der junge Mann ist sehr bemüht. Geht
immer wieder rein ins, eben, Hafen-System, sucht ob unser Bar-Code schon
erfasst sei und erscheint. Ich nütze die Zeit und betrachte die vielen Modelle
von Hafenkränen, Containern Liftern und dergleichen, die auf den Aktenschränken
staub sammeln. Eine Luftaufnahme des weitverzweigten Hafens von Hamburg
fasziniert mich ebenso. Unterdessen ist auch der Abteilungsleiter oder so was
ähnliches wieder vom Lunch zurück. Sein Büro ist im selben grossen Raum, von
einer kleinen Schrankwand ist er nur wenig von seinen Untertanen getrennt. Sein
freistehender Schreibtisch steht auf einem kleinen 25 cm hohen Podest im Büro
und sein Bürostuhl sieht extrem modern aus und umschliesst ihn wie der
Schalensitz eines Rally-Piloten bis hoch hinter den Kopf. Hier kommen keine
Zweifel auf wer der Chef am Platz ist.
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Die Tussi von Garmin lotst uns
sicher und flink durch Hamburg Richtung Süden. Der blue truck ist ja nicht
gerade das ideale Gefährt für unlimitierte deutsche Autobahnen und so dieseln
wir, noch mit Südamerikanischem Billigtreibstoff eher gemächlich, im Speed der
Autobusse und der schnelleren Lastwagen Richtung Süden.
Europa hat uns wieder.
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