23. November 2014: Heute Morgen verbringe ich, wie
fast immer wenn es das Wetter erlaubt, die meiste Zeit an Deck. Nach einer
Weile kommt einer der Offiziere zu mir und sagt, wenn wir möchten, könnten wir
heute die Bridge ansehen. Die Brücke, die Kommando-Zentrale, das Hirn des
Schiffes. Ich trommle die Franzosen, Olivier den Belgier und auch Ursi zusammen. Alle neun Passagiere steigen in die Kommando Zentrale. Nach dem uns der eine und der andere der Offiziere mit viel Elan und diesem
wunderbaren Italo-Englisch einige Sachen erklärt hat, kommt der Kapitän hoch
auf die Brücke. Er übernimmt die Führung auf seinem Schiff sofort und resolut
und verweist die Herren auf ihre Plätze. Es ist spannend, er erklärt uns die
verschiedenen Navigations-Techniken und was sie heute alles hätten. Er erzählt
aus seiner Anfangszeit in den 70er Jahren, als noch ohne moderne Kommunikation
und ohne Satelliten navigiert wurde. Schwierig war es bei tagelangem, nebligen,
schlechten Wetter da weder Sonne noch Sterne zum Navigieren beigezogen werden
konnten und man einfach vorerst mal drauflos fuhr, Richtung haltend und bei der
nächstbesten Gelegenheit seine Position zu bestimmen versuchte. Da sei oft ganz
wild auf den Meeren rumgefahren worden und es hätte vielfach enormer
Kurskorrekturen bedurft, wenn man wieder raus hatte wo man überhaupt war.
Unser Kapitän am Steuer |
Doch auch heute gibt es auf der
Grande Francia noch zwei Sextanten, trotz Bildschirmen mit Seekarten und trotz
Echolot wird der Kurs für den Tag auch zusätzlich auf einer oldfashioned
Papierseekarte eingezeichnet. Back-up, wenn alles ausgeht muss der Kapitän auch
heute noch in der Lage sein zu bestimmen wo sich sein Schiff befindet und wo es
hin soll, betont der Kapitän. Um gleich nach zu doppeln, den Sextanten wild in der
Luft schwingend, dass die Jungen das heute alle nicht mehr könnten, sie seien
so verwöhnt mit GPS und all dem. „Böt thäi stiil häve tü lörrn it dürign thär
edücasion, ou no?“ Fragt eine der französischen Passagierinnen. Ja, ja meint
der Kapitän, die lernen es aber - die können's nicht. Und der Sextant
verschwindet wieder in seiner hübschen rotbraunen Holzkiste. Viele Dinge hier
oben sind ähnlich wie in einem Flugzeug, einfach alles viel grösser. Die Gyro’s
sind so gross wie Grossmutters Nachttischli, wie sollte sowas in einer
Flugzeugnase Platz finden?
Einer der zwei Radarbildschirme |
Ausblick von der Brücke |
Im Vordergrund, elektronische Seekarte, hinten der Radar |
Einer der zwei Gyros |
Bedieneinheit für Bow and Stern Thruster: Damit wird das Schiff ans oder vom Dock mänövriert |
Infobildschirm, darauf können verschiedene Infos geschlaten werden |
Der Kapitän kommt auf die
Sicherheit zu sprechen, Concordia, da würde er dann schon oft drauf
angesprochen, als italienischer Kapitän sowieso und noch mehr, wenn er irgendwo
im Ausland sei. Jetzt kommt er erst richtig in Fahrt. Was denkst Du, Kapitän
und dazu noch Italiener. Selbstverteidigungskurs nichts dagegen. Die Passagiere
seien es, die immer so nahe wie möglich an der Küste fahren wollten, lamentiert
er wild fuchtelnd, damit sie was zu sehen bekämen. Und überhaupt, „iit iis
terribäl tu säiä thät…“ aber die wenigen Menschen die dabei umkamen im
Verhältnis zu den vielen die gerettet worden seien. Unter dem Strich sei es, so
schrecklich das Unglück ist, eine sehr erfolgreiche Bilanz, eine gut gelungene
Rettungsaktion gewesen. Das hätten auch die ersten von TV Sendern interviewten,
geretteten Passagiere gesagt, aber diese Interviews seien alsbald von den
Sendern verschwunden, ersetzt durch solche die viel TV-geeigneter von einem
riesen Chaos sprachen und mit Tränen in den Augen erzählten wie fürchterlich
alles gewesen sei und wie viel besser man es hätte machen können. Da hat der
wilde fuchtelnde Kapitän sicher mehr als Recht. Welcher TV Sender würde schon
der positiven Glück im Unglück Story Zeit einräumen, wenn man stattdessen über
Chaos, Desaster und schnelle Schuldzuweisung berichten kann. Der Kapitän, der Letzte
der von Board geht oder muss er gar mit dem Schiff untergehen ist die nächste
Frage die mit hübschem französischen Accent und ewig rollenden R’s gestellt
wird. Oho, da kommt der kleine Mann erst recht in Fahrt, so viele Knoten bringt
die Grande Francia gar nicht hin. Italo Temperament und alles. Der Kapitän ist
doch auch nur ein Mensch, wie jeder andere, wie soll der denn noch auf dem
Schiff zurechtkommen, wenn es 90° zur Seite liegt, da sei das Benützen der
Treppe genauso unmöglich für den Kapitän wie für den Passagier. Ausserdem wie
soll er auf einem Schiff mit zweitausend Passagieren denn wissen, ob nicht noch
einer irgendwo in seiner Kabine steckt. Da schliesst er gleich den Kreis zur
Concordia, es gäbe Zeugenberichte von Geretteten, dass es sich bei den wenigen
Umgekommenen ausschliesslich um Passagiere handelte die noch, als die Rettungsaktion
in vollem Gange war, zurück in ihre Kabinen wollten um irgendwas zu holen,
statt den Instruktionen der Crew zu folgen. Wenn das Schiff einmal auf der
Seite liegt, betont er, hast Du kaum noch eine Chance von irgendwo unten im
Schiff wieder hoch zu kommen. Mit dem Boom der Kreuzfahrtschiffe, werden
Cruiser gebaut, die bis zu 6‘000 Menschen Platz bieten würden, weiss der
quirlige Italiener zu berichten. Man bräuchte nur warten, bis es einmal ein
Notfall mit einem solchen Schiff geben würde. Ich gehe mit ihm einig, sehe wieder
Parallelen zu meinem Business, der Fliegerei, was wird es für einen Aufstand in
den Medien geben wenn der erste A380 mit vier-, fünf- oder sechshundert
Menschen an Bord verunfallt. Vollkommen unmöglich, holt der Kapitän mit
ausgestreckten Armen aus, im Notfall 6‘000 Menschen auf und von ein und
demselben Schiff zu bergen. Die Emergency-Organisation ist garantiert beinahe
ein Ding der Unmöglichkeit. Boah - wie die Zeit vergeht, wenn es so spannend
ist. Schon wieder Zeit für den nächsten Termin: Mittagessen.
Der Nachmittag vergeht bei bestem
Wetter auf Deck wie der Blitz. Noch ein bisschen auf die Rudermaschine und ein
paar Runden auf Deck spazieren. 234 Schritte zähle ich für eine Runde. Nach 10
Runden ist Schluss, grad noch Zeit zum Duschen. Als wir das Abendessen schon
wohlig und reichlich in unseren Mägen wissen laufen wir in Brasiliens grössten
Hafen ein, Santos. Der Umschlagplatz für des Landes wichtigste Wirtschaftszone,
Sao Paulo und die Regionen um die
Millionenstadt.
Apropos Einlaufen, schon beim
Abendessen macht sich unter den jungen italienischen Offizieren und unserem
Stuart eine eigenartig fröhliche Aufgeregtheit breit. Das Essen wird schnell
verschlungen und sie verschwinden in ihren Kojen, bis wir vom Essen zurückkehren
werden, wird es in den Gängen nach After-Shave und Eau de Toilette riechen.
Domenico weiss zu erzählen, dass einige von ihnen heute Landgang hätten, er
auch, grinst riesig breit, Julia Roberts nichts dagegen. Ein Taxi würde sie
abholen, an einen Ort bringen, so zu sagen ein „All in One“ Angebot: Kirche,
Bar und Puff, würden dort gleich eins nach dem anderen liegen oder stehen halt.
Und nach dem Full-Service-Stop würden sie vom Taxi schön wieder zurück ans Quai
gebracht. Matrosen Esoterik, was für ’n Körper, was für ‘n Geist und was für
die Seele. Am nächsten Morgen beim Frühstück wird sich die Aufgeregtheit gelegt
haben, trotzdem wird es auch mit dem Zmorge blitzschnell gehen, alle werden
schon seit Stunden am Arbeiten sein und es wird nur für 5 Minuten, Kaffee und
schnell ein Brötchen verdrücken reichen, dann wird’s gleich wieder runter in
die Katakomben der Grande Francia gehen.
Es ist schon dunkel, nicht minder
spektakulär ist die lange Einfahrt und das präzise Anlegen am Dock. Schon sehr
eindrücklich, wie diese Masse milimetergenau dirigiert wird, vom Kapitän und seiner
Crew. Und schon kratzt die grosse, gelbe Rampe über das Kopfsteinpflaster des
Docks. Ein Wagen rollt direkt neben die Anlegestelle, die Scheinwerfer gehen
aus, im spärlichen Licht eines Feuerzeugs schimmert kurz die dunkle Visage des
Fahrers, ein Arm mit einer Zigarette zwischen den Fingern hängt ab und an aus
dem Seitenfenster, wenn nicht sieht man ein Glühen der Zigarette im Auto, wenn
der Taxifahrer an seiner Zigi zieht. Etwas später kommt ein Grüppchen Männer in
eiligen Schritten, an ihren Zigaretten ziehend über die Rampe, die Kippen
werden über die Reling der Schiffsrampe geschnippt und die Gestalten
verschwinden hastig im Taxi. Wie ein kleiner Glühwurm schwirrt die Kippe aus
dem Seitenfenster und erlöscht erst im Salzwasser zwischen Dock und Schiff. Der Taxi braust davon – darin vier
Männer mit einer klaren Mission für die nächsten Stunden.
Wie immer kannst Du auf die Photos klicken um sie vergrössert zu betrachten.
Viel Spass an Bord oder beim Landgang.
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