29. November 2014: Während dem Mittagessen kommt
Domenico, unser Stuart, der sich mehr oder weniger um uns Passagiere kümmert zu
Ursi. Auf Italienisch plappert er wie wild auf sie ein und als er es zum
dritten Mal wiederholt, verstehe sogar ich, was er sagen will. Ursi, die ein
bisschen italienisch spricht wird angehalten alle zu informieren, dass wir uns
um 16:00 Uhr mit Schwimmweste, Rettungsanzug und Helm hier, im an die Messe
angrenzenden Aufenthaltsraum einfinden sollen: Drill.
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Feuer an Bord, eine der grössten Gefahren auf einem Schiff |
Es ist ein schöner Tag, mit
einigen Wolkenfetzen, die sich gelegentlich vor die Sonne schieben. Ich
verbringe die Zeit nach dem Essen bis zum Drill fast ausschliesslich draussen,
denke mir, es wird dann im Norden noch schnell genug kommen, dass man nicht
mehr auf Deck sitzen kann weil der kalte Wind und das winterliche
Nordatlantik-Wetter es einem vermiesen.
Mehr oder weniger pünktlich
tröpfeln die neun Passagiere in den Aufenthaltsraum. Alle ein bisschen an ihren
übergestülpten Schwimmwesten rummachend. Olivier hat seine Schwimmweste nicht
an. Er weiss zu berichten, dass es ein Fehler sei, die Schwimmweste schon im
inneren des Schiffes anzuziehen, wenn der Raum mit Wasser gefüllt sei, dann
würde man oben auf schwimmen und könnte nicht durch die Türen tauchen um raus
oder in den nächsten Raum zu finden, deshalb müsste man die Weste nur in den
Händen halten. Ich denk mir meine Sache, sage nichts. Wenige Minuten vergehen
und Domenico erscheint und hilft dem einen oder der anderen mit den
Schwimmwesten, „…due modelli“ meint er als er bei den einen eine Lasche am Nacken
mit dem Hüftgurt verschlauft bei den anderen eben gerade nicht. Wir fummeln
noch da und dort an den Westen rum, albern mit den Helmen, Gerhard wiederholt,
für was denn der Helm gut sein solle, der würde Dich doch höchstens erschlagen
wenn Du von Bord springend unten angekommen seist. Er wird von einem
dreitönigen Signal jäh unterbrochen. Dann knistert es im Lautsprecher.
„Thisä isä yourä Cäptän speaking. This is ä
Drillä, eiä ripeat, this is ä drillä! All crew, all passangers to thä
muster station now!”
Wir marschieren durch den kurzen
Gang raus ins grelle Sonnenlicht, steigen hoch auf Deck 13. Fast alle Crew
Mitglieder, Italos und Philipinos stehen schon bereit, die meisten ihre
Schwimmweste übergestülpt und den Helm auf. Sofort beginnt der Chief Master,
der zweithöchste an Bord eine Liste runter zu lesen. Zuerst die Philipinos,
jeder mit einem Laut, der einmal nach „Here!“ ein andermal nach „Present!“ und
auch mal nur nach einem undefinierbaren Gebrummel tönt ihre Präsenz
bestätigend. Einige der Asiaten haben so feine, hohe oder krächzende Stimmen,
dass, könnte man sie nicht sehen, man glauben würde wir hätten ein ganzes
Grüppchen quietschender Damen mit an Bord. Nach den Italos kommen wir, die
Passagiere. „Bern!“ ruft der Chief Mate, als ich an der Reihe bin und auf den
zweiten Anlauf, schnalle ich, dass ich gemeint bin und bestätige mit „Present“.
Ich habe die Reise über Globoship in Bern gebucht, was mir in den
Passagierlisten den Titel „Bern“ vor meinen Namen eingebrockt hat. So heisse
ich hier auf der Grande Francia „Bern Thomas Rimml“. Ursi und ich müssen
lachen. Wie die anderen aufgerufen werden denke ich mir, dass ich dann, wieder
zuhause, mal nach Bern Thomas Rimml googeln sollte. Der Chief informiert kurz mit Italoenglish
und ich versteh nicht allzu viel, aber ein paar Mal fällt das Wort „…Fire…“
zwischen dem akzentreichen Gemurmel, das mich noch immer jedes Mal an
Benigni
oder den
Italian Man in Malta erinnert.
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"Bern!?" |
Dann geht alles schnell, Schläuche werden
ausgerollt, Männer kommen mit kompletten Atemschutz-Ausrüstungen angerannt und
zwei der Matrosen helfen jeweils einem Dritten in die silbern in der Sonne
blitzenden Feuerschutzanzüge, stülpen ihnen die Masken mit den grossen Scheiben
vorm Gesicht über den Kopf, während die anderen Schläuche verlegen und verbinden
und noch bevor die blitzenden Feuerbekämpfer an den Schläuchen sind füllen sich
diese bereits mit Wasser und liegen hart unter Druck auf dem grünen Deckboden.
Einer stützt den Mann am Ventil und dieser wird einen Schritt zurückgestossen
als der Druck dem Ventil entschiesst. Man ist sich nicht ganz einig wo das
Feuer ist und spritzt mal eher links, mal eher rechts. Die Typen in den feuerfesten
Anzügen übernehmen die Schlauchventile und der Chief Mate definiert das
phantasierte Feuer mit „The Fire is there! It’s there!“ worauf sich beide in
die Richtung in der seine Pranke zeigt drehen. Andere sind unterdessen mit
Feuerlöschern angerannt. Einer liegt am Boden und das einzige was noch fehlt
ist ein italienisches Wehklagen, wie er flink auf eine Bare gepackt und in den
Sanitätsraum abtransportiert wird. Wir Passagiere haben bei der ganzen Sache
keine Aufgabe ausser uns in sicherer Distanz weiterhin an der Muster Station,
dem Sammelpunkt aufzuhalten.
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Feuerbekämpfer wird in seine Kleidung gesteckt |
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"Wherä isä thä Fire?" |
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Wer ist jetzt verletzt? |
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"Wherä isä thä Fire?" |
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Ab in den Sanitätsraum. |
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Die Zuschauer = Passagiere |
„Thisä isä your cäptän speaking,
abandon ship, eiä ripeatä, abandon ship!” ertönt das Kommando von der Brücke
durch die Lautsprecher: Schiff verlassen! Feuerlöscher werden abgestellt, die
Hydranten zugedreht, die stolzen, harten Feuerwehrschläuche fallen schlaff in
sich zusammen und binnen einer Minute hat jeder seine Schwimmweste und den Sack
mit dem Survival-Suit gepackt und versammelt
sich um uns Passagiere herum. Ein neuer Apell, dies mal ist auch Bern bereit
und ich melde mich mit einem militärisch zackigen „Present“ eine hundertstel
Sekunde nach dem der Chief das Wort Bern gerufen hat. Ursi lacht. Wir werden in
zwei Gruppen auf die zwei Rettungsboote aufgeteilt. Für Übungszwecke wird aber
nur eines der zwei Boote wirklich vorbereitet. Während Sandro, der kleine Gigolo
Offizier der immer so arrogant aber unsicher auf dem Schiff rumschleicht zum
Vorführmodell für den Survival Anzug gewählt wird. Der kleine verschwindet flux
im grossen roten Anzug und stösst alle immer weg, die ihm irgendwie in seinen
Gummianzug helfen wollen. Er sieht darin irgendwie ein bisschen nach etwas
zwischen Fetisch Dings und Jaques Cousteau im Taucheranzug aus. Einer der Italo
Offiziere klopft ihm auf die Schultern und Zeigt kurz mit ausgestrecktem Finger
und ernster Miene auf das eine oder andere Detail und fragt in die Runde der
Passagiere und Matrosen „Clear?“ Einige nicken, andere brummeln was, während
ein Philipino Sandro noch eine Schwimmweste über den Kopf stülpt.
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Sandro im Survival Suit. |
Unterdessen sind
der Chief Mate und ein Matrose im Rettungsboot verschwunden und ein erstes Grüppchen
der Passagiere wird an Bord der in der Luft hängenden orangenen, riesigen
Nussschale gebeten. Wie diese wieder rauskommen steige auch ich im zweiten
Grüppchen die Stufen hoch und klettere durch die Luke ins weisse Innere des
ansonsten leuchtend orange bemalten Bootes. Drinnen angekommen zeigt uns der
Chief wie alles aussieht und funktioniert. Es gibt für jeden einen Platz der
auf dem weissen in die Bootspolyesterschale eingearbeiteten Bänklein mit einem
schwarzen runden Punkt markiert ist. Mit Olivier als Modell führt der Chief
vor, wie man sich mit an den Rennsport erinnernden Hostenträgergurten
festschnallen muss. Die einen Gurten kommen zwischen den Beinen hoch, die
anderen hängen von der Rückenlehne runter, auf dem Bauch wird alles verriegelt.
Chief Giacoppo erklärt uns wo der Bootsführer Platz nimmt, auf einem Sitzchen
erhöht hinter dem Steuerrad, mit dem Kopf im Ausguck, der wie eine grosse Beule
am Ende des Bootes ausgearbeitet ist. Er startet den Motor, der willig und mit
einem an ein Moped erinnernden knattern anspringt. Dann erklärt er uns, wie die
ganze Sache funktioniert, dass das Boote ohne fremde Hilfe von hier entriegelt
werden kann und wie es von dem über 40 Meter hohen Schiff zu Wasser gelassen
wird. Deshalb eben Gurte. Es gibt Essens Rationen, Trinkwasserbeutel, einen
Erste-Hilfe Kit, Rauch und Leuchtbojen und einfache Leuchtraketen und
Leuchtraketen die an einem Fallschirm über rund eine Minute wieder vom Himmel
gleiten. Wir werden instruiert, wann was zu nutzen sei. Ausserdem gibt es ein
langes Kunststoff seil, an dessen Ende ein roter Gummiring mit etwa 30
Zentimeter Durchmesser festgebunden ist. Der Chief zeigt uns, wie man sich den
Ring über den Arm bis hinauf in die Achselhöhlen ziehen soll und so durch die
Luke von Bord gehen soll um einen anderen Menschen draussen zu retten. Die im
Boot verbleibenden ziehen dann alle beide am Seil zurück, sobald der Retter das
Opfer mit dem Arm umschlungen hat. Super, wie er sich Zeit nimmt uns alles zu
erklären. Ich war schon auf vielen Schiffen aber noch nie hatte ich eine so ausführliche
Einführung in eine Notsituation. Wir können Fragen stellen und sind erstaunt,
dass die Reichweite des Bootes nur ca. 50 bis 70 Kilometer beträgt, der Chief
erklärt uns aber auf unsere verdutzten Mienen, das es lediglich von Nutzen ist
sich vom kenternden, sinkenden oder brennenden Schiff zu entfernen, ansonsten
müsse man möglichst nahe an der Stelle bleiben wo die Havarie passiert sei, so
könne man am schnellsten gefunden werden. Die Idee sei nicht mit dem Boot
irgendwohin zu fahren à la Robinson Cruso. Ausserdem gibt es auch noch einen
Treibanker, eine Art grosser runder, faltbarer Kunststofftrichter, der an einem
Seil im Wasser dem Boot zur Fahrt mit Wind der das Wasser an der Oberfläche vor
sich her peitscht verhilft. Im Weiteren gibt es zwei grosse Ruder, mit denen
das Boot ebenfalls bei geöffneten Luken wie ein Ruderboot bewegt werden kann.
Nochmal betont er aber, dass es am besten sei möglichst nahe beim Schiff zu
bleiben, da die Chance auf Rettung dort, wo die letzten GPS Signale der Grande
Francia gesandt wurden am höchsten sei. „Excüsä mi, whärrä is thä toilet?“
fragt Glen mit ihrem herrlichen französischen Englisch. „Here!“ meint der Chief
schmunzelnd und zeigt auf die offene Luke. Sie verzieht das Gesicht und wir
müssen alle lachen, während wohl jeder für sich hofft, nie über diese Bordwand
kacken zu müssen während alle auf ihren schwarzen Punkten sitzenden Dir dabei zuschauen…
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Das Rettungsboot von aussen... |
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...und von... |
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...innnen. |
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The Food |
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"Excüsä mi, whär is thä toilät?" |
Zu meinem Erstaunen gibt es weder
ein offizielles Kommando zum Ende des Drills, noch eine Besprechung über dessen
Erfolg. Mindestens nicht für uns, für die Crew vielleicht. Ist auch egal, denn
wir haben eben noch Zeit unsere Sachen wieder auf dem Schrank in der Kabine zu
verstauen bevor wir schon wieder antreten müssen. Das letzte Kommando heute
heisst Abendessen.
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