Donnerstag, 15. Januar 2015

Grimaldi Tag 13/Teil 2: "Thisä is ä drillä!"

29. November 2014: Während dem Mittagessen kommt Domenico, unser Stuart, der sich mehr oder weniger um uns Passagiere kümmert zu Ursi. Auf Italienisch plappert er wie wild auf sie ein und als er es zum dritten Mal wiederholt, verstehe sogar ich, was er sagen will. Ursi, die ein bisschen italienisch spricht wird angehalten alle zu informieren, dass wir uns um 16:00 Uhr mit Schwimmweste, Rettungsanzug und Helm hier, im an die Messe angrenzenden Aufenthaltsraum einfinden sollen: Drill.

Feuer an Bord, eine der grössten Gefahren auf einem Schiff

Es ist ein schöner Tag, mit einigen Wolkenfetzen, die sich gelegentlich vor die Sonne schieben. Ich verbringe die Zeit nach dem Essen bis zum Drill fast ausschliesslich draussen, denke mir, es wird dann im Norden noch schnell genug kommen, dass man nicht mehr auf Deck sitzen kann weil der kalte Wind und das winterliche Nordatlantik-Wetter es einem vermiesen.

Mehr oder weniger pünktlich tröpfeln die neun Passagiere in den Aufenthaltsraum. Alle ein bisschen an ihren übergestülpten Schwimmwesten rummachend. Olivier hat seine Schwimmweste nicht an. Er weiss zu berichten, dass es ein Fehler sei, die Schwimmweste schon im inneren des Schiffes anzuziehen, wenn der Raum mit Wasser gefüllt sei, dann würde man oben auf schwimmen und könnte nicht durch die Türen tauchen um raus oder in den nächsten Raum zu finden, deshalb müsste man die Weste nur in den Händen halten. Ich denk mir meine Sache, sage nichts. Wenige Minuten vergehen und Domenico erscheint und hilft dem einen oder der anderen mit den Schwimmwesten, „…due modelli“ meint er als er bei den einen eine Lasche am Nacken mit dem Hüftgurt verschlauft bei den anderen eben gerade nicht. Wir fummeln noch da und dort an den Westen rum, albern mit den Helmen, Gerhard wiederholt, für was denn der Helm gut sein solle, der würde Dich doch höchstens erschlagen wenn Du von Bord springend unten angekommen seist. Er wird von einem dreitönigen Signal jäh unterbrochen. Dann knistert es im Lautsprecher.

„Thisä isä yourä Cäptän speaking. This is ä Drillä, eiä ripeat, this is ä drillä! All crew, all passangers to thä muster station now!”

Wir marschieren durch den kurzen Gang raus ins grelle Sonnenlicht, steigen hoch auf Deck 13. Fast alle Crew Mitglieder, Italos und Philipinos stehen schon bereit, die meisten ihre Schwimmweste übergestülpt und den Helm auf. Sofort beginnt der Chief Master, der zweithöchste an Bord eine Liste runter zu lesen. Zuerst die Philipinos, jeder mit einem Laut, der einmal nach „Here!“ ein andermal nach „Present!“ und auch mal nur nach einem undefinierbaren Gebrummel tönt ihre Präsenz bestätigend. Einige der Asiaten haben so feine, hohe oder krächzende Stimmen, dass, könnte man sie nicht sehen, man glauben würde wir hätten ein ganzes Grüppchen quietschender Damen mit an Bord. Nach den Italos kommen wir, die Passagiere. „Bern!“ ruft der Chief Mate, als ich an der Reihe bin und auf den zweiten Anlauf, schnalle ich, dass ich gemeint bin und bestätige mit „Present“. Ich habe die Reise über Globoship in Bern gebucht, was mir in den Passagierlisten den Titel „Bern“ vor meinen Namen eingebrockt hat. So heisse ich hier auf der Grande Francia „Bern Thomas Rimml“. Ursi und ich müssen lachen. Wie die anderen aufgerufen werden denke ich mir, dass ich dann, wieder zuhause, mal nach Bern Thomas Rimml googeln sollte.  Der Chief informiert kurz mit Italoenglish und ich versteh nicht allzu viel, aber ein paar Mal fällt das Wort „…Fire…“ zwischen dem akzentreichen Gemurmel, das mich noch immer jedes Mal an Benigni oder den Italian Man in Malta erinnert.
"Bern!?"

Dann geht alles schnell, Schläuche werden ausgerollt, Männer kommen mit kompletten Atemschutz-Ausrüstungen angerannt und zwei der Matrosen helfen jeweils einem Dritten in die silbern in der Sonne blitzenden Feuerschutzanzüge, stülpen ihnen die Masken mit den grossen Scheiben vorm Gesicht über den Kopf, während die anderen Schläuche verlegen und verbinden und noch bevor die blitzenden Feuerbekämpfer an den Schläuchen sind füllen sich diese bereits mit Wasser und liegen hart unter Druck auf dem grünen Deckboden. Einer stützt den Mann am Ventil und dieser wird einen Schritt zurückgestossen als der Druck dem Ventil entschiesst. Man ist sich nicht ganz einig wo das Feuer ist und spritzt mal eher links, mal eher rechts. Die Typen in den feuerfesten Anzügen übernehmen die Schlauchventile und der Chief Mate definiert das phantasierte Feuer mit „The Fire is there! It’s there!“ worauf sich beide in die Richtung in der seine Pranke zeigt drehen. Andere sind unterdessen mit Feuerlöschern angerannt. Einer liegt am Boden und das einzige was noch fehlt ist ein italienisches Wehklagen, wie er flink auf eine Bare gepackt und in den Sanitätsraum abtransportiert wird. Wir Passagiere haben bei der ganzen Sache keine Aufgabe ausser uns in sicherer Distanz weiterhin an der Muster Station, dem Sammelpunkt aufzuhalten.

Feuerbekämpfer wird in seine Kleidung gesteckt

"Wherä isä thä Fire?"

Wer ist jetzt verletzt?

"Wherä isä thä Fire?"

Ab in den Sanitätsraum.

Die Zuschauer = Passagiere

„Thisä isä your cäptän speaking, abandon ship, eiä ripeatä, abandon ship!” ertönt das Kommando von der Brücke durch die Lautsprecher: Schiff verlassen! Feuerlöscher werden abgestellt, die Hydranten zugedreht, die stolzen, harten Feuerwehrschläuche fallen schlaff in sich zusammen und binnen einer Minute hat jeder seine Schwimmweste und den Sack mit dem Survival-Suit gepackt und  versammelt sich um uns Passagiere herum. Ein neuer Apell, dies mal ist auch Bern bereit und ich melde mich mit einem militärisch zackigen „Present“ eine hundertstel Sekunde nach dem der Chief das Wort Bern gerufen hat. Ursi lacht. Wir werden in zwei Gruppen auf die zwei Rettungsboote aufgeteilt. Für Übungszwecke wird aber nur eines der zwei Boote wirklich vorbereitet. Während Sandro, der kleine Gigolo Offizier der immer so arrogant aber unsicher auf dem Schiff rumschleicht zum Vorführmodell für den Survival Anzug gewählt wird. Der kleine verschwindet flux im grossen roten Anzug und stösst alle immer weg, die ihm irgendwie in seinen Gummianzug helfen wollen. Er sieht darin irgendwie ein bisschen nach etwas zwischen Fetisch Dings und Jaques Cousteau im Taucheranzug aus. Einer der Italo Offiziere klopft ihm auf die Schultern und Zeigt kurz mit ausgestrecktem Finger und ernster Miene auf das eine oder andere Detail und fragt in die Runde der Passagiere und Matrosen „Clear?“ Einige nicken, andere brummeln was, während ein Philipino Sandro noch eine Schwimmweste über den Kopf stülpt.

Sandro im Survival Suit.

Unterdessen sind der Chief Mate und ein Matrose im Rettungsboot verschwunden und ein erstes Grüppchen der Passagiere wird an Bord der in der Luft hängenden orangenen, riesigen Nussschale gebeten. Wie diese wieder rauskommen steige auch ich im zweiten Grüppchen die Stufen hoch und klettere durch die Luke ins weisse Innere des ansonsten leuchtend orange bemalten Bootes. Drinnen angekommen zeigt uns der Chief wie alles aussieht und funktioniert. Es gibt für jeden einen Platz der auf dem weissen in die Bootspolyesterschale eingearbeiteten Bänklein mit einem schwarzen runden Punkt markiert ist. Mit Olivier als Modell führt der Chief vor, wie man sich mit an den Rennsport erinnernden Hostenträgergurten festschnallen muss. Die einen Gurten kommen zwischen den Beinen hoch, die anderen hängen von der Rückenlehne runter, auf dem Bauch wird alles verriegelt. Chief Giacoppo erklärt uns wo der Bootsführer Platz nimmt, auf einem Sitzchen erhöht hinter dem Steuerrad, mit dem Kopf im Ausguck, der wie eine grosse Beule am Ende des Bootes ausgearbeitet ist. Er startet den Motor, der willig und mit einem an ein Moped erinnernden knattern anspringt. Dann erklärt er uns, wie die ganze Sache funktioniert, dass das Boote ohne fremde Hilfe von hier entriegelt werden kann und wie es von dem über 40 Meter hohen Schiff zu Wasser gelassen wird. Deshalb eben Gurte. Es gibt Essens Rationen, Trinkwasserbeutel, einen Erste-Hilfe Kit, Rauch und Leuchtbojen und einfache Leuchtraketen und Leuchtraketen die an einem Fallschirm über rund eine Minute wieder vom Himmel gleiten. Wir werden instruiert, wann was zu nutzen sei. Ausserdem gibt es ein langes Kunststoff seil, an dessen Ende ein roter Gummiring mit etwa 30 Zentimeter Durchmesser festgebunden ist. Der Chief zeigt uns, wie man sich den Ring über den Arm bis hinauf in die Achselhöhlen ziehen soll und so durch die Luke von Bord gehen soll um einen anderen Menschen draussen zu retten. Die im Boot verbleibenden ziehen dann alle beide am Seil zurück, sobald der Retter das Opfer mit dem Arm umschlungen hat. Super, wie er sich Zeit nimmt uns alles zu erklären. Ich war schon auf vielen Schiffen aber noch nie hatte ich eine so ausführliche Einführung in eine Notsituation. Wir können Fragen stellen und sind erstaunt, dass die Reichweite des Bootes nur ca. 50 bis 70 Kilometer beträgt, der Chief erklärt uns aber auf unsere verdutzten Mienen, das es lediglich von Nutzen ist sich vom kenternden, sinkenden oder brennenden Schiff zu entfernen, ansonsten müsse man möglichst nahe an der Stelle bleiben wo die Havarie passiert sei, so könne man am schnellsten gefunden werden. Die Idee sei nicht mit dem Boot irgendwohin zu fahren à la Robinson Cruso. Ausserdem gibt es auch noch einen Treibanker, eine Art grosser runder, faltbarer Kunststofftrichter, der an einem Seil im Wasser dem Boot zur Fahrt mit Wind der das Wasser an der Oberfläche vor sich her peitscht verhilft. Im Weiteren gibt es zwei grosse Ruder, mit denen das Boot ebenfalls bei geöffneten Luken wie ein Ruderboot bewegt werden kann. Nochmal betont er aber, dass es am besten sei möglichst nahe beim Schiff zu bleiben, da die Chance auf Rettung dort, wo die letzten GPS Signale der Grande Francia gesandt wurden am höchsten sei. „Excüsä mi, whärrä is thä toilet?“ fragt Glen mit ihrem herrlichen französischen Englisch. „Here!“ meint der Chief schmunzelnd und zeigt auf die offene Luke. Sie verzieht das Gesicht und wir müssen alle lachen, während wohl jeder für sich hofft, nie über diese Bordwand kacken zu müssen während alle auf ihren schwarzen Punkten sitzenden Dir dabei zuschauen…

Das Rettungsboot von aussen...

...und von...

...innnen.

The Food

"Excüsä mi, whär is thä toilät?"

Zu meinem Erstaunen gibt es weder ein offizielles Kommando zum Ende des Drills, noch eine Besprechung über dessen Erfolg. Mindestens nicht für uns, für die Crew vielleicht. Ist auch egal, denn wir haben eben noch Zeit unsere Sachen wieder auf dem Schrank in der Kabine zu verstauen bevor wir schon wieder antreten müssen. Das letzte Kommando heute heisst Abendessen.         

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