2. Dezember 2014:
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Mitten im Atlantik |
7:30, Frühstück, Ursi und ich
setzen uns an den Fünfer Tisch, wir sind 9 Passagiere, es gibt zwei runde
Tische, das heisst immer schön ein 4er und ein 5er. Erstaunlicherweise hat sich
nicht wie üblich eine Form einer Sitzordnung ergeben, sondern man wechselt
immer mal ein bisschen ab, mit einer Ausnahme, Olivier, der Belgier, alleine unterwegs,
sitzt immer am 5er Tisch. So geniessen wir an diesem Morgen seine Gesellschaft.
Olivier ist einer jener Typen, die weder Morgenmuffel noch sonst was sind,
einer der nie eine kurze Phase des sich Nichtmitteilens hat. Keine Ausnahme der
heutige Tag, wie wir überhaupt erst auf das Thema kamen weiss ich nicht mehr,
möglicherweise war es Gerhard, der am 5er sitzt, der das Thema aufgreift, die
Kontrolle des täglichen Lebens, die Verfolgung durch Behörden und
Geheimdienste, das Abhören von Telefonen, das Lesen all Deiner E-Mails. Die
Diskussionen sind schon im Gange, als der Kapitän sich ebenfalls für sein
Frühstück ans Kopfende seines Offizierstisches setzt. Ein, zwei Blicke über den
Rand seiner Brille, hin zu uns und er ist mitten drin am Mitdiskutieren. Über
den Verlust der Privatsphäre und die stetig steigende Kontrollwut schliesst
sich der Kreis schnell zu 9/11. Der Kapitän ist überzeugt, dass es wenig mit
Terroristen zu tun hätte und das grausige Machwerk aus eignen Reihen der USA
stamme. Wir diskutieren wie eigenartig die zwei Wolkenkratzer in sich zusammen
gestürzt sind und natürlich kommen verschiedene Publikationen und
Dokumentationen zum Thema zur Sprache. Ich werfe ein, dass wir darüber jeder
unsere eigene Theorie haben könnten, rauskommen werde es nie, was und wie das
genau passiert sei, genauso wie man nie rausfinden werde, wer JFK wirklich in
Dallas niedergestreckt hat. Eine kurze Pause, dann bestätigt der Kapitän, das
ich recht hätte aber… und verliert sich in einem ausschweifenden Monologen den
sein ganzer Oberkörper mit Italo-Gestik noch unterstreicht, über eben wieder
die ständige Kontrolle von allem. Gerhard und Olivier schliessen sich an und
sind ebenfalls der Überzeugung, dass alles was wir irgendwie im Netz machen
überwacht wird. Dieser Überzeugung bin ich schon lange und schmeisse in die
Diskussion, dass es mir eigentlich egal sei, wenn das FBI, das CIA oder der
Pakistanische Geheimdienst meine E-Mails lesen oder mein Telefon abhören. Da es
wenig von grossem Interesse für
diese
Leute in
meinem Leben gibt. Der Kapitän
schnappt mir das Wort weg und bestätigt, das sehe er auch so. – Zwischen ihm
und Olivier ist es gelegentlich schwierig überhaupt zu Wort zu kommen. –
Trotzdem schaffe ich es noch einmal und bringe zum ersten Mal überhaupt, den
Kapitän zum schweigenden Nachdenken. Vielen Chefen gemein, hat er nämlich auch
die grosse Gabe wesentlich besser zu reden als zuzuhören. Zu meinem Erstaunen
tut er aber genau das jetzt mit zusehends besorgter Miene, wie ich erkläre,
dass ich mit ihm einig sei, wie eben gesagt, sei es mir auch egal, wer meine
Korrespondenz liest oder mein Telefon abhört, da es wenig von internationalem
Interesse zu lesen oder hören gäbe. Was mir aber Angst machen würde, ob all
diesem Kontroll- und Sicherheitswahnsinn, Opfer eines Irrtums zu werden? Was
wenn ich nichtsahnend zwei, drei Mal gleichzeitig mit irgendjemandem von dessen
dunklen Machenschaften ich nicht weiss, zufällig im selben Flieger sitze, ins
selbe Land Reise oder am selben Flughafen ankomme, was wenn einer meiner Kunden
ohne mein Wissen ein Terrorist ist und so weiter. Nichts ahnend könnte ich so
in die Mühlen der Geheimdienste geraten und wenn überhaupt noch einmal
rausfinden, meine Integrität im normalen Leben wohl kaum mehr zurückgewinnen
können. Man denke da nur an im Verhältnis banale Fälle wie Kachelmann, dessen
professionell Karriere mit einer äusserst erfolgreichen Medienschlacht trotz
Freispruch zum sicheren Ende gebracht wurde. Des Kapitäns Miene verfinstert
sich, daran hätte er noch nicht gedacht murmelt er, man sieht ihm an, dass
gerade er, der beruflich viel reist, viele Länder besucht und Facht auf seinen
Schiffen transportiert, von denen er nur wenig weiss, sich als potentielles
Opfer einer solchen irrtümlichen Hetzjagd sehen kann.
Wir plaudern noch eine Weile
weiter über die Gefahren dieses Kontroll- und Sicherheitswahnsinns der nach dem
kalten Krieg vielleicht weniger wurde, seit 9/11 aber wieder rasant zunimmt und
durch die Bedrohung des Terrors fast alles legitimiert. Dann steht der Kapitän
auf, er müsse zur Arbeit, spaziert bei uns am Tisch vorbei, fast beiläufig
meint er, wir würden heute Nachmittag den Äquator überqueren.
Ein prächtiger, wenn auch
windiger Tag auf See. Ich hole das GPS hervor um zu sehen, wo wir ungefähr sind
und ich muss schon reichlich weit raus zoomen auf dem kleinen Bildschirm um
irgendwo noch Land zu sehen. Beinahe in der Mitte zwischen den zwei Kontinenten
steht der blaue Pfeil der unser Schiff symbolisiert. Nach dem Mittagessen
informiert der Kapitän uns, dass er wenn wir von der südlichen in die nördliche
Hemisphäre wechseln würden, das Schiffhorn blasen würde, es sollte etwa um
16:15 passieren.
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Sonnig mit viel Wind geht es dem Äquator entgegen... |
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...noch sind wir im Südpazifik. |
Ein starker Wind bläst und wir
verbringen einen Teil des Nachmittags trotz beinahe klarem Himmel drinnen.
Lesen, Schreiben, Fotos sortieren, es wird nie langweilig. Ursi geht zum Sport
und ich gehe in Anbetracht des nahenden Wechsels von Süd nach Nord auf Deck 13.
Die anderen Passagiere sind schon oben. Nicht nur, damit ich was auf dem GPS
sehen kann begebe ich mich in den Schatten des grossen Gehäuses der Zu- und
Abluft und auch die grossen Auspuffrohre der Grande Francia beherbergt, auch
der Wind ist nahe der Wand und im Windschatten der Bauten der Brücke und des
Notfallzimmers grösser und so erträglicher. Eigentlich positioniere ich mich
so, dass ich bei der Anzeige 0°00.000‘ auf dem GPS ein Foto schiessen könnte.
Das tiefe, unwahrscheinlich laute Schiffshorn, geht mir aber durch Mark und
Bein und lässt mich derart zusammenschrecken, dass ich den Moment glatt verpass
oder vielmehr verzittere. Ist auch egal, drüber sind wir sowieso. Wir bleiben
alle noch oben auf Deck 13 und auch Ursi kommt bald verschwitzt vom Rennen auf
dem Laufband hoch. Während wir uns schon wieder im Minuten Bereich dem ersten
nördlichen Grad nähern, plaudern wir über unsere Erlebnisse und die Orte an
denen wir den Äquator von Norden kommend in Südamerika überquert hatten. Ich
gebe die immer noch erstaunliche Geschichte mit dem Ei zum Besten, wo mich eine
ecuadorianische Familie dazu motiviert hat, auf dem Äquator ein Ei auf seine
Spitze zu stellen und zu meinem eigenen grossen Erstaunen hat es sehr einfach
funktioniert und das Ei ist tatsächlich auf dem spitzen wie auf dem stumpfen
Ende gestanden, ein rohes Ei, notabene. Nach dem Abendessen werden wir im
Halbkreis um Kapitän und einige der Offiziere versammelt und wir bekommen je
ein persönliches Zertifikat für die Überquerung des Äquators an Bord der Grande
Francia. Eine nette Geste, dass sich die Crew die Mühe gemacht hat für uns.
Gerhard meint bei der letzten Fahrt mit Grimaldi hätten sie ein Glas Champagner
bekommen wie sie vom Norden in den Süden über den Äquator gefahren seien. „Oh,
we don’tä do thätä!“ antwortet der Kapitän kurz und bündig. Mit diesem Diplom
werde ich bestimmt einfach einen Job finden in der Schweiz sage ich zum Kapitän
dankend, er lacht und meint „in Switzerländ, youä willä always findä wörkä!“
und lacht.
Eine kurze Weile verbringen wir
noch draussen und hier, so nahe am Äquator ist es natürlich schon über eine
Stunde dunkel. Von nun an wird jeder Tag kürzer, daran müssen wir uns gewöhnen,
schwieriger wird es dann erst, wenn wir noch viel weiter nördlich sind, dann
wird auch jeder Tag noch empfindlich kälter. Aber noch werden wir einige schöne
Tage vor uns haben. Noch knapp zwei Tage auf hoher See, bis wir in Senegal,
unserem nächsten Stopp ankommen werden.
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Und schon sind wir auf der nördlichen Halbkugel unterwegs. |
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