Seiten

Dienstag, 6. Januar 2015

Grimaldi Tag 7: Die Brücke und Matrosen Esoterik

23. November 2014: Heute Morgen verbringe ich, wie fast immer wenn es das Wetter erlaubt, die meiste Zeit an Deck. Nach einer Weile kommt einer der Offiziere zu mir und sagt, wenn wir möchten, könnten wir heute die Bridge ansehen. Die Brücke, die Kommando-Zentrale, das Hirn des Schiffes. Ich trommle die Franzosen, Olivier den Belgier und auch Ursi zusammen. Alle neun Passagiere steigen in die Kommando Zentrale. Nach dem uns der eine und der andere der Offiziere mit viel Elan und diesem wunderbaren Italo-Englisch einige Sachen erklärt hat, kommt der Kapitän hoch auf die Brücke. Er übernimmt die Führung auf seinem Schiff sofort und resolut und verweist die Herren auf ihre Plätze. Es ist spannend, er erklärt uns die verschiedenen Navigations-Techniken und was sie heute alles hätten. Er erzählt aus seiner Anfangszeit in den 70er Jahren, als noch ohne moderne Kommunikation und ohne Satelliten navigiert wurde. Schwierig war es bei tagelangem, nebligen, schlechten Wetter da weder Sonne noch Sterne zum Navigieren beigezogen werden konnten und man einfach vorerst mal drauflos fuhr, Richtung haltend und bei der nächstbesten Gelegenheit seine Position zu bestimmen versuchte. Da sei oft ganz wild auf den Meeren rumgefahren worden und es hätte vielfach enormer Kurskorrekturen bedurft, wenn man wieder raus hatte wo man überhaupt war.

Unser Kapitän am Steuer

Doch auch heute gibt es auf der Grande Francia noch zwei Sextanten, trotz Bildschirmen mit Seekarten und trotz Echolot wird der Kurs für den Tag auch zusätzlich auf einer oldfashioned Papierseekarte eingezeichnet. Back-up, wenn alles ausgeht muss der Kapitän auch heute noch in der Lage sein zu bestimmen wo sich sein Schiff befindet und wo es hin soll, betont der Kapitän. Um gleich nach zu doppeln, den Sextanten wild in der Luft schwingend, dass die Jungen das heute alle nicht mehr könnten, sie seien so verwöhnt mit GPS und all dem. „Böt thäi stiil häve tü lörrn it dürign thär edücasion, ou no?“ Fragt eine der französischen Passagierinnen. Ja, ja meint der Kapitän, die lernen es aber - die können's nicht. Und der Sextant verschwindet wieder in seiner hübschen rotbraunen Holzkiste. Viele Dinge hier oben sind ähnlich wie in einem Flugzeug, einfach alles viel grösser. Die Gyro’s sind so gross wie Grossmutters Nachttischli, wie sollte sowas in einer Flugzeugnase Platz finden?

Einer der zwei Radarbildschirme

Ausblick von der Brücke

Im Vordergrund, elektronische Seekarte, hinten der Radar

Einer der zwei Gyros

Bedieneinheit für Bow and Stern Thruster:
Damit wird das Schiff ans oder vom Dock mänövriert


Infobildschirm, darauf können verschiedene Infos geschlaten werden

Der Kapitän kommt auf die Sicherheit zu sprechen, Concordia, da würde er dann schon oft drauf angesprochen, als italienischer Kapitän sowieso und noch mehr, wenn er irgendwo im Ausland sei. Jetzt kommt er erst richtig in Fahrt. Was denkst Du, Kapitän und dazu noch Italiener. Selbstverteidigungskurs nichts dagegen. Die Passagiere seien es, die immer so nahe wie möglich an der Küste fahren wollten, lamentiert er wild fuchtelnd, damit sie was zu sehen bekämen. Und überhaupt, „iit iis terribäl tu säiä thät…“ aber die wenigen Menschen die dabei umkamen im Verhältnis zu den vielen die gerettet worden seien. Unter dem Strich sei es, so schrecklich das Unglück ist, eine sehr erfolgreiche Bilanz, eine gut gelungene Rettungsaktion gewesen. Das hätten auch die ersten von TV Sendern interviewten, geretteten Passagiere gesagt, aber diese Interviews seien alsbald von den Sendern verschwunden, ersetzt durch solche die viel TV-geeigneter von einem riesen Chaos sprachen und mit Tränen in den Augen erzählten wie fürchterlich alles gewesen sei und wie viel besser man es hätte machen können. Da hat der wilde fuchtelnde Kapitän sicher mehr als Recht. Welcher TV Sender würde schon der positiven Glück im Unglück Story Zeit einräumen, wenn man stattdessen über Chaos, Desaster und schnelle Schuldzuweisung berichten kann. Der Kapitän, der Letzte der von Board geht oder muss er gar mit dem Schiff untergehen ist die nächste Frage die mit hübschem französischen Accent und ewig rollenden R’s gestellt wird. Oho, da kommt der kleine Mann erst recht in Fahrt, so viele Knoten bringt die Grande Francia gar nicht hin. Italo Temperament und alles. Der Kapitän ist doch auch nur ein Mensch, wie jeder andere, wie soll der denn noch auf dem Schiff zurechtkommen, wenn es 90° zur Seite liegt, da sei das Benützen der Treppe genauso unmöglich für den Kapitän wie für den Passagier. Ausserdem wie soll er auf einem Schiff mit zweitausend Passagieren denn wissen, ob nicht noch einer irgendwo in seiner Kabine steckt. Da schliesst er gleich den Kreis zur Concordia, es gäbe Zeugenberichte von Geretteten, dass es sich bei den wenigen Umgekommenen ausschliesslich um Passagiere handelte die noch, als die Rettungsaktion in vollem Gange war, zurück in ihre Kabinen wollten um irgendwas zu holen, statt den Instruktionen der Crew zu folgen. Wenn das Schiff einmal auf der Seite liegt, betont er, hast Du kaum noch eine Chance von irgendwo unten im Schiff wieder hoch zu kommen. Mit dem Boom der Kreuzfahrtschiffe, werden Cruiser gebaut, die bis zu 6‘000 Menschen Platz bieten würden, weiss der quirlige Italiener zu berichten. Man bräuchte nur warten, bis es einmal ein Notfall mit einem solchen Schiff geben würde. Ich gehe mit ihm einig, sehe wieder Parallelen zu meinem Business, der Fliegerei, was wird es für einen Aufstand in den Medien geben wenn der erste A380 mit vier-, fünf- oder sechshundert Menschen an Bord verunfallt. Vollkommen unmöglich, holt der Kapitän mit ausgestreckten Armen aus, im Notfall 6‘000 Menschen auf und von ein und demselben Schiff zu bergen. Die Emergency-Organisation ist garantiert beinahe ein Ding der Unmöglichkeit. Boah - wie die Zeit vergeht, wenn es so spannend ist. Schon wieder Zeit für den nächsten Termin: Mittagessen.

Der Nachmittag vergeht bei bestem Wetter auf Deck wie der Blitz. Noch ein bisschen auf die Rudermaschine und ein paar Runden auf Deck spazieren. 234 Schritte zähle ich für eine Runde. Nach 10 Runden ist Schluss, grad noch Zeit zum Duschen. Als wir das Abendessen schon wohlig und reichlich in unseren Mägen wissen laufen wir in Brasiliens grössten Hafen ein, Santos. Der Umschlagplatz für des Landes wichtigste Wirtschaftszone, Sao Paulo und die Regionen um die  Millionenstadt.  



Apropos Einlaufen, schon beim Abendessen macht sich unter den jungen italienischen Offizieren und unserem Stuart eine eigenartig fröhliche Aufgeregtheit breit. Das Essen wird schnell verschlungen und sie verschwinden in ihren Kojen, bis wir vom Essen zurückkehren werden, wird es in den Gängen nach After-Shave und Eau de Toilette riechen. Domenico weiss zu erzählen, dass einige von ihnen heute Landgang hätten, er auch, grinst riesig breit, Julia Roberts nichts dagegen. Ein Taxi würde sie abholen, an einen Ort bringen, so zu sagen ein „All in One“ Angebot: Kirche, Bar und Puff, würden dort gleich eins nach dem anderen liegen oder stehen halt. Und nach dem Full-Service-Stop würden sie vom Taxi schön wieder zurück ans Quai gebracht. Matrosen Esoterik, was für ’n Körper, was für ‘n Geist und was für die Seele. Am nächsten Morgen beim Frühstück wird sich die Aufgeregtheit gelegt haben, trotzdem wird es auch mit dem Zmorge blitzschnell gehen, alle werden schon seit Stunden am Arbeiten sein und es wird nur für 5 Minuten, Kaffee und schnell ein Brötchen verdrücken reichen, dann wird’s gleich wieder runter in die Katakomben der Grande Francia gehen.



Es ist schon dunkel, nicht minder spektakulär ist die lange Einfahrt und das präzise Anlegen am Dock. Schon sehr eindrücklich, wie diese Masse milimetergenau dirigiert wird, vom Kapitän und seiner Crew. Und schon kratzt die grosse, gelbe Rampe über das Kopfsteinpflaster des Docks. Ein Wagen rollt direkt neben die Anlegestelle, die Scheinwerfer gehen aus, im spärlichen Licht eines Feuerzeugs schimmert kurz die dunkle Visage des Fahrers, ein Arm mit einer Zigarette zwischen den Fingern hängt ab und an aus dem Seitenfenster, wenn nicht sieht man ein Glühen der Zigarette im Auto, wenn der Taxifahrer an seiner Zigi zieht. Etwas später kommt ein Grüppchen Männer in eiligen Schritten, an ihren Zigaretten ziehend über die Rampe, die Kippen werden über die Reling der Schiffsrampe geschnippt und die Gestalten verschwinden hastig im Taxi. Wie ein kleiner Glühwurm schwirrt die Kippe aus dem Seitenfenster und erlöscht erst im Salzwasser zwischen Dock und  Schiff. Der Taxi braust davon – darin vier Männer mit einer klaren Mission für die nächsten Stunden. 



Wie immer kannst Du auf die Photos klicken um sie vergrössert zu betrachten. 

Viel Spass an Bord oder beim Landgang.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen