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Sonntag, 25. Januar 2015

Grimaldi Tag 17: Mitten im Dezember Gedanken an August

3. Dezember 2014: Wie jeden Tag geht der Wecker kurz nach 7:00 Uhr los. Ein Blick aus dem Fenster lässt schon jetzt erahnen, dass die Tage nördlich des Äquators kürzer und kürzer werden. Gespenstisch hängt der fast volle Mond in den Wolken, dumpfes Dämmerlicht lässt mich wissen, dass die Sonne zwar bestimmt auf der anderen Seite des Schiffes im Osten kommen wird, aber aufgegangen ist sie noch nicht.



Es wird ein windiger, aber sonniger Tag auf der noch jungen Fahrt auf dem nun - jetzt - Nord-Atlantik. Das Wetter ist warm und die Luftfeuchtigkeit hoch. Das Meer kräuselt sich in weissen Schäumchen über den Wellen, gleichzeitig wellt die ganze Meeresoberfläche in langen grossen Wellen, die sich aber nicht zu überschlagen vermögen und die Grande Francia sich in langatmigen Nickbewegung darüber weg pflügen lässt. Kleine Gruppen fliegender Fische zischen über die Bugwellen um der Grande Francia zu entkommen. Einmal kann ich einen grossen Rochen entdecken, der für einen Moment beinahe mit den rund 30 km/h der Grimaldi mithalten kann, dann wird es ihm zu bunt und er taucht links weg und verschwindet in der tiefen Bläue des Nordatlantiks. Interessant, ich dachte immer so weit draussen auf offener See gäbe es nicht mehr allzu viel Meeresgetier. Ich erinnere mich, wie wir noch vor der Küste Brasiliens oben auf der  Brücke waren der Radar im Sog des Schiffes ständig irgendwelche Objekte anzeigte, einer der Offiziere erklärte mir, das seien grosse Fische, die in der Welle mitschwimmen würden, tatsächlich konnten wir damals auch einen grossen Fisch, einer Mischung aus Delphin und Hai ähnlich, in den Wellen springen sehen. Ansonsten hielten sich die Tiere aber in ihrem Element, unter Wasser. Ich frage mich ob das wohl jetzt hier draussen fast mittig zwischen dem amerikanischen und dem afrikanischen Kontinent immer noch so ist, dass der Radar unsere tierischen Verfolger laufend erfasst.

Eine ruhiger Tag, den ich fast ausschliesslich draussen verbringe. Das Meer, obwohl ein ganz anderes Element, hat für mich etwas gemein mit einem offenen Feuer, genauso wie ich Stunden in mein Camp Feuer oder in ein offenes Kaminfeuer blicken und verträumt meinen Gedanken oder Zukunftsideen nachhängen kann, kann ich das auch mit dem Ozean. Wie das Feuer ist auch das Wasser rastlos und ständiger Veränderung unterworfen, zu jeder Tagestunde und mit wechselndem Wind und Wetter verändert sich seine Farbe von tiefblau zu allem möglichen grün bis hin zu Grautönen, einmal in kurzen wilden Wellen aufschäumend einmal in langen gewaltigen Frequenzen scheinbar bebend, lässt es uns Menschen der kurzen Dauer unseres Lebens im Verhältnis zu diesen Urgewalten gewahr werden.

Wie ich an der Reling hänge und so in das tiefe Blau des Nordatlantiks blicke denke ich an August. Oder vielmehr an seine Beisetzung auf See. August war eine äusserst eindrückliche Persönlichkeit deren Bekanntschaft ich dank Jenni machen durfte. Jenni ihrerseits lernte ich während meinem Sprachaufenthalt, notabene am Atlantik, im kleinen Städtchen Royan in Frankreich kennen. Die kleine, hübsche koreanische Schwedin, ja das gibt’s, sass in den Mittagspausen oft mit mir auf der Treppe der Schule, wo ich mein Sandwich mampfend verdrückte. Obwohl sie schon fliessend Englisch und Deutsch und natürlich Schwedisch sprach, war Jenni von Stockholm nach Royan gezogen um auch noch Französisch zu lernen. Nebst den Mittagstunden, trafen wir uns auch am Abend im Astoria, einem der wenigen gemütlichen Kneipen, die auch im Winter im Küstenstädtchen geöffnet hatte. Dort versammelte sich tagtäglich eine ganze Schar Studenten und einige Lokale zu reichlich Bier wurde bis spät in die Nacht diskutiert, Tischfussball oder Billard gespielt oder einfach nur das Leben gefeiert. Aus den anfänglichen zaghaften aber irgendwie ganz natürlichen Annäherungen entwickelte sich bald eine wunderbare, stürmische und leidenschaftliche Liebesbeziehung. Schwankend zu zweit auf meinem Fahrrad brachte ich Jenni spät abends nach den bierschwangeren Abenden im Astoria nach Hause in ihre Studentenbude, bevor ich selbst, erst früh morgens heim zu Nicolas und Chantal fuhr, bei denen ich ein Zimmer gemietet hatte. Alsbald fuhr ich nicht mehr mit dem Fahrrad in die Schule, sondern brachte meinen kleinen roten Fiat Panda mit. Statt über Mittag auf den Treppen zu sitzen fuhren wir über die Klippen im Süden der Stadt, eingewickelt in meinen Daunen Schlafsack verbrachten wir die winterliche Mittagszeit bis die Scheiben des kleinen Wagens undurchsichtig beschlagen waren. Ganz im Stile von Tina Turner‘s SteamyWindows. Es war eine wunderschöne, leidenschaftliche Zeit, eine wunderbare Liebe, wie sie einem nur in jungen Jahren vergönnt ist. Wie afrikanische Buschtrommeln schlug mein Herz, wenn ich Jennifer nur schon von weitem sah. Wir verbrachten schöne, wilde, turbulente gemeinsame Jahre, reisten gemeinsam in den Süden, den Norden, den Westen, den Osten. Bestimmt für einander waren wir nicht und ein halbes Jahrzehnt nach dem wir uns mit angelaufenen Scheiben, über den Atlantik-Klippen nördlich von Bordeaux im Panda liebten, trennten sich unsere Wege für immer.

Und so, dank Jennifer, lernte ich August kennen. August, der Grossvater, Opa, von Jenni. Zum ersten Mal traf ich August in Prag. Der Kurs in Frankreich war längst zu Ende, Jenni in Stockholm, ich in Zürich, Jennis Eltern lebten in Prag, wo ihr Vater Geschäftsführer einer schwedischen Firma war. Nach dem Sprachaufenthalt in Frankreich verbrachte ich meine Zeit in verschiedenen Gelegenheitsjobs, den Freitag hatte ich mir frei genommen und jagte nun in dieser Donnerstagnacht in meinem Triumph Spitfire, meinem ersten Auto, der auch heute noch im meinem Besitz ist, gen‘ Osten. Spät in der Nacht kam ich an unserem Treffpunkt, einem Vorort-Städtchen von Prag an. Das ganze Cabriodach muss im Rhythmus meines Herzschlages gebebt haben, so pochte und sprang mein Herz, als ich Jenni vor dem Gasthaus, das wir, noch vor der Mobiltelefonzeit, noch von zu Hause aus per Telefon als Treffpunkt vereinbart hatten. Daheim bei Jenni’s Eltern angekommen schlichen wir uns ins Haus und kuschelten uns im Kellerzimmer, wo wir für die Prager-Tage wohnten, ins Bett. Frühmorgens, es muss wohl erst 6:00 Uhr gewesen sein, schlich ich mich aus der wohligen Wärme unseres Nestchens nach oben auf die Toilette. Ich wusste von Jenni, was für ein vitaler Mann ihr Opa war. Und trotzdem, ich muss wohl ziemlich komisch aus meinen Boxershorts gekuckt haben, wie ich da im Wohnzimmer einen über 90 jährigen grossen Mann sehe, der sein Körpergewicht in regelmässigen Bewegungen in Liegestützen vom gefliesten Boden hochstemmte. „Ich bin August, Du musst also Thomas sein“ trat mir August entgegen nach dem er sich in die Senkrechte gestellt hatte. Reichlich doof kam ich mir vor wie ich da in T-Shirt und Boxershorts den alten Herr respektvoll begrüsste. „Ich mache grad‘ meine Übungen“ meint er, er solle sich nicht stören lassen, ich sei gestern spät abends von Zürich angekommen. Ich verdrückte mit ins Bad und wie ich wieder rauskam, sah ich August wie er den Rücken mir zugedreht und aus dem Wohnzimmerfenster schauend mit ausgestreckten Armen Kniebeugen absolvierte. Wieder die Treppe runter geschlichen kuschelte ich mich unter die Decke zu meiner Geliebten.

Nach und nach lernte ich August besser kennen, obwohl, oft sahen wir uns nicht, er wohnte in Wilhelmshaven, Jenni in Stockholm, ihre Eltern in Prag, ich in Zürich. Nicht zuletzt durch die Erzählungen von Jenni über ihren Opa wurde er mir auf eine sonderbare Art bekannter. Eigentlich war es erst in jenem Jahr, wessen Silvester August nicht mehr erleben sollte, als wir uns wirklich näher kamen. Jenni studierte unterdessen an der Kunstschule in Zürich und wir wohnten gemeinsam an der Konradstrasse im Kreis 5 meiner Heimatstadt, als Jennis Mama anrief, sie war bei ihrem Vater in Wilhelmshaven, der für verschiedene Dinge zwischen Spital und seiner Wohnung hin- und herwechselte. Es ging ihm nicht gut. Wir entschlossen kurzum nach Norddeutschland zu fahren um August zu besuchen. Jennis Mutter hatte uns ein Gästezimmer in einem nahen Einfamilienhaus organisiert,  aber nach dem wir meinen Toyota Starlet, der rote Panda hatte mittlerweile aufgegeben, über die Deutsche Autobahn scheuchten, fuhren wir zuerst einmal zu August. Der grosse Mann war zusammengesunken und gezeichnet von Alter und Krankheit aber zu Tränen gerührt wie wir durch die Türe seiner Wohnung schritten.

Es war in jenen Tagen, als August und ich uns näher kamen. Jenni und ihre Mama wollten einkaufen gehen, August hatte sich hingelegt und ich offerierte mich zu Hause zu bleiben und für August zu kochen sobald er auf war und Appetit hätte, was kaum je noch der Fall war, stets hatte ihn seine Tochter ermuntert doch ein bisschen was zu essen. Ich sass in der Küche am kleinen Tisch und las ein Buch. In der Küche hing ein Kalender, irgendwann stand ich auf um zu sehen, wie viele Tage uns noch in Wilhelmshaven verblieben, bevor wir wieder im Starlet Richtung Süden brausen mussten. An wenigen Tagen im Wandkalender gab es kleine Vermerke, mit einer leicht zittrigen Schnörkelschrift, die mich an die Schrift meiner eigenen, leider längst verstorbenen Grosseltern erinnerte. Einmal waren es Geburtstage in der Familie, einmal Stichworte zu denen ich keinen Bezug hatte. An einem Tag, der bestimmt für August, der zwei Weltkriege erlebte, eine ganz besondere Bedeutung hatte stand „Krieg ist die Hölle auf Erden“. Es stimmte mich traurig, es erinnerte mich an die Erzählungen von Jenni, dass es Opa bis heute von Albträumen geplagt kaum je vergönnt war eine ganze Nacht durch zu schlafen. August selbst hatte mir einst, als wir uns zum Jahreswechsel in Stockholm sahen erzählt, dass er, bevor er nach Norddeutschland versetzt wurde, im Süden, an der Grenze zur Schweiz Dienst für die deutsche Armee tat. Längst hätte sich unter den Soldaten und den normalen Menschen Unmut verbreitet und Gerüchte und Vorahnungen des Schreckens mit der Hitlers NS das Land in Kriege an alle Fronten stürzte und Minderheiten in KZ’ steckte breit gemacht. August stand am Ufer des Rheins, die neutrale, kriegsverschonte Schweiz auf der anderen Seite des Stromes. Der nächtliche Sprung in die Fluten und das Schwimmen ans andere, das schweizerische Ufer wären für den durchtrainierten Sportoffizier ein leichtes gewesen. Und August hatte sich das, wie wir es wohl alle gemacht hätten, überlegt. Er blieb auf der deutschen Seite des Rheins, die dunkle Ahnung, dass er, hätte er nach der Schweiz desertiert, seine kleine Tochter, heute die Mutter von Jenni, und seine Frau nie mehr lebend sehen würde. Man wusste es, ohne dass jemand darüber sprach, sagte mir damals August, die Familien jener, die das gewagt hätten, seien irgendwann zu Hause abgeholt worden und - einfach verschwunden.

Leichte Geräusche aus Augusts Schlafzimmer kündeten sein Erwachen an. Ich goss gerade siedendes Wasser in den Teekrug als sich August in dem blauen Trainer, der mich an die Liegestütze in Prag, als ich August zum ersten Mal sah erinnert, zu mir in die Küche setzt. Ich erkläre ihm, dass wir zwei alleine seien, da Ingrid und Jenni zum Einkaufen fuhren. „Hast Du Hunger, August?“ frage ich, während ich ihm den Tee in ein grosses Glas mit verwaschenem Blumenmuster goss. Ich fand, das Glas wirke viel weniger nach krank, Spital und so, als Tasse und Untertasse. Blitzartig beschlug das Glas von innen vom dampfenden Tee, für einen Moment zweifelte ich an meiner Idee und glaubte der heisse Tee würde das Glas sprengen. Ich hatte Glück, ein bisschen kaltes Wasser nachgeschüttet brachte den Tee auf eine genüssliche Temperatur für August. „Danke, ich bin nicht wirklich hungrig“ antwortete er. Ich entsann mich der Worte Ingrid‘s, dass ich zusehen soll, dass August was essen würde. Es wäre schon vorbereitet, sage ich, während ich den Pfannen auf dem Herd einheize. Während sich das Essen langsam erwärmt, setzte ich mich wieder zu August, giesse mir auch ein Glas Tee ein. Dann beginnt der mir sonst eher schweigsam vorkommende August zu erzählen: Müde und immer ein bisschen bedusselt von den Medikamenten sei er, der verdammte Krebs, er sei noch nicht bereit  zu sterben, der Krieg hätte ihm zu viele Jahre gestohlen und doch sei er dankbar was für ein langes Leben er bis jetzt gehabt habe. Gespannt hörte ich zu, gelegentlich in die Töpfe guckend. Der 96 jährige Mann erzählte mir aus seiner Kindheit, in Saarbrücken aufgewachsen konnte er sich noch heute erinnern, als das erste Auto durch die staubigen Strassen knatterte, die ganze Stadt war auf den Beinen. Ich erfahre von den Kriegsjahren, der Unmöglichkeit sich aufzulehnen, der unwahrscheinlichen Drohungen der NS an seine eigene Bevölkerung, von den Monaten als Kriegsgefangener die mit dem Austausch gegen ebensolche ein Ende nahm. Während August mir sagte, er hoffe unsere Generation müsse nie mehr einen Krieg erleben, stelle ich ihm einen Teller mit Kartoffeln, gekochtem Gemüse und Fleisch, das Jenni und Ingrid schon vorbereitet hatten, auf den Tisch. Während wir weiter plauderten, August aus den vergangenen Jahren erzählte, schmuggelte ich ihm gar eine zweite Portion auf den Teller und obwohl ursprünglich ganz ohne Appetit, isst er wacker. Wir trinken Tee aus den Gläsern, essen ein spätes Mittagessen und plaudern immer zu. Als Jenni und Ingrid vom Einkaufen zurück kommen sitzen wir noch immer in der Küche, Ingrid erstaunt ob der leeren Töpfe und August meinte ganz fröhlich „Thomas ist mein Koch“ und klopfte mir kollegial auf die Schulter. Ich war gerührt, ein bisschen vielleicht gar stolz.

Wir sprachen nicht viel, die vielen Stunden die wir zurück nach Zürich fuhren, Jenni und ich. Ich glaube wir spürten beide instinktiv, dass wir die letzten Tage mit Opa August hatten verbringen dürfen. Einige Wochen später fahren wir wieder nach Wilhelmshaven. August war nicht religiös, er wünschte sich eine Beisetzung auf See. Genau diese bringt mich eben heute, wenn ich ins ultratiefe Blau des Atlantiks Blicke zu diesen Erinnerungen und lässt meine Gedanken fast 15 Jahre in die Vergangenheit schwirren. Das Schiff vor dem wir uns am Hafen trafen war ein stattlicher, stämmiger Schlepper, schwarz-weiss der stählerne Schiffsrumpf, kräftiges dunkelgrün der Riffelblechboden aussen auf Deck. Es war ein neblig, verhangener Spätherbst Tag über der Nordsee. Wir stiegen hinab in die Messe wo ein grosser Tisch, ausgearbeitet, der Form des Buges des Schiffs folgend stand, darum herum eine gepolsterte Bank auf der wir uns setzten. In einer Nische zwischen den stählernen weissen Planken, die von der stabilen Machart des kräftigen Schiffes zeugten, stand vor einem runden Bullauge Augusts Urne, dahinter ein schönes, buntes Blumen-Bouquet. Jennis Eltern und wir redeten nicht viel, vielleicht wechselten wir ein paar Worte aber ich glaube wir waren alle in unseren Gedanken irgendwo bei August. Der Kapitän war ein kräftig gebauter, grosser blonder Mann in einer perfekten Uniform mit weissem Hemd und Kapitäns-Patten. Er stieg zu uns runter und erklärte mit wenigen Worten wie es vor sich gehen würde. Nach einer Weile wurden wir an Deck gebeten. Die See war rau, die Wellen schäumten kreuz und quer auf. Der Kapitän steuert das Schiff in einen engen Radius und drehte an ein und derselben Stelle drei Kreise in die Nordsee. Wie aus Geisterhand beruhigte sich die See im Inneren dieses Kreises. Die Strömung und die Wellen wurden vom Strahl der Schraube für kurze Zeit unterbrochen und der Kapitän steuerte das Schiff in die Mitte dieses mystischen Kreises, wo nach einigen wenigen Worten des Kapitäns, an die ich mich nicht mehr erinnere, die Urne von August mit den Blumen in eben diesem tiefen blau, an das ich mich heute erinnere, dem Meeresgrund entgegen sank. Ich sehe noch heute in meiner Erinnerung, wie das tiefe, klare blau der Nordsee die Urne und die bunten Blumen nach und nach in seine Tiefe aufnahm. Die Motoren schnurrten ihren sonoren Ton wie wir die Stelle langsam verliessen, noch einige Minuten konnte man den beruhigten Kreis im Meer sehen, bis die wild schäumenden Wellen August endgültig zu sich holten. Als wir zurück fuhren, plagten mich verschiedene Gedanken, nichts ahnend, dass diese Seebestattung wiederkehrend mich immer mal wieder in meinen Träumen heimsuchen würde. Bis heute ist mir die Deutung dieses Traumes ein Rätsel. Im Traum sehe ich das Schiff von oben in diesem beruhigten Kreise auf der Nordsee stehen, ich sehe uns, wie wir an Deck stehen und während die blumenbestückte Urne in der Tiefe versinkt steigt mein Blinkwinkel einem Vogel gleich in die Luft, bis das Schiff nur noch ganz klein im Kreise, das es zuvor zog, schaukelt. Ich glaube auch auf der Rückfahrt sprachen wir kaum. Ich weiss es nicht mehr. Für mich war es eindrücklich, die erste und bis jetzt einzige Bestattung auf See, ich dachte drüber nach, dass es eigentlich nun gar keinen Ort gab, wo man hingehen konnte, wie ich das gelegentlich bei meinen Grosseltern auf dem Friedhof in Zürich machen konnte, verwarf aber den Gedanken gleich wieder und fand, dass man eigentlich so immer und überall an den Wassern eines Ozeans dort sein konnte, wo August sich seinen Abschied von dieser Welt wünschte.

Und genau das sehe ich jetzt bestätigt. Das Erlebte was ich heute, hier an Bord der Grande Francia, in mein Tagebuch schreibe ist schon viele Jahre her. Die afrikanischen Trommeln des leidenschaftlichen Herzschlags längst verstummt, der Kontakt zu Jenni und ihrer Familie ebenso. Meine Gedanken an diesen Tag vor vielen Jahren schon näher der Vergesslichkeit als der Erinnerung. Und genau diese wird hier, durch die Tiefen und das einmalige, klare Blau des Nordatlantiks, die Musse und dank der nur langsam ziehende Zeit an Bord, wieder wach und für mich in wundersamer Weise erfrischt.


Wohin mich der Ozean heute geführt hat, welche vergessenen Erinnerungen und Gefühle er in mir geweckt hat mag ich heute mit niemandem an Bord teilen. Ich fühle, das ist nur für mich bestimmt, wenn mich die Wellen desselben dunkeln Wassers heute an Bord der Grande Francia in den Schlaf wiegen bin ich dankbar, das alles erlebt zu haben, dankbar für die schönen Tage und Stunden mit Jenni, mit ihrem Opa August. Dankbar für diese grosse Reise, die ich hier gesund und munter mit einem Rucksack voller wunderbarer Erlebnisse im Begriff bin zu beenden. Mit jeder Stunde auf dem Schiff komme ich der Heimat rund dreissig Kilometer näher. – Gute Nacht.       


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