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Montag, 29. Dezember 2014

Grimaldi Tag 4: Flugsaurier, Hallwilersee und Dalai Lama Weisheiten


20. November 2014: Gestern beim Frühstück hat der Kapitän ein bisschen mit uns geplaudert. Der kleine Mann spricht fliessend Französisch, Englisch, natürlich Italienisch und es würde mich nicht erstaunen, wenn er auch ein bisschen Deutsch verstehen würde ohne es preiszugeben. Für 8:00 Uhr ist die Abfahrt geplant, hörten wir eben gestern von ihm.

Nach dem Frühstück gehen wir hoch auf Deck, alles ist ruhig, doch noch liegt die grosse, gelbe Rampe auf dem Pier auf. Ursi und ich plaudern mit Gerhard, dem Steyr Piloten. Irgendwann lass ich die beiden an der Reling, in ihr Gespräch vertieft, stehen und geh nach hinten schauen. Gerade richtig um zu beobachten wie sich die tonnenschwere Rampe langsam, in einer der grossen Masse respektlosen Leichtigkeit, zusammenfaltet und mit einem dumpfen Klack an das Schiff hakt. Das Pfeifen der elektrischen Hydraulikmotoren verstummt sofort. Ein Schlepper nähert sich von hinten und ein kleines oranges Boot setzt je einen Mann auf den Betonplattformen ab, auf denen die Grande Francia vertäut ist. Der Schlepper stabilisiert das grosse Schiff von hinten während die Taue seitlich und vorne gelöst werden. Erstaunlich schnell bewegt sich das mächtige Schiff vom Pier weg, die hydraulischen Motoren drehen blitzschnell hoch und die Taue werden eingezogen. Der Schlepper zieht noch eine ganze Weile stabilisierend am Schiff nach hinten während die Bugstrahler vorne schmutziges Wasser aufwirbeln. Kaum eine halbe Stunde später gleitet das Schiff unter der grossen Brücke durch und wir lassen das argentinische Industriegebiet wieder an uns vorbeiziehen.

Eigenartig, wenn Du auf der einen Seite des Schiffes stehst und hinunter aufs Land blickst, wähnst Du Dich im besagten Wirtschaftsgeographie Buch meiner Handelsschulzeit, mitten im Ruhrgebiet der 60er Jahre. Es raucht, qualmt, stinkt und dampft. Marschierst Du quer übers Deck 13 und schaust auf der anderen Seite runter, könntest Du Dich in einem National Geographic Movie glauben. Wilde Bambus-Wälder, Mangroven, scheinbar endlose Sumpfgebiete übersäht mit schwimmenden Pflanzen, bis hin zum braunen reissenden Fluss trotzt die zum Teil schwimmende Vegetation der Strömung.

Es ist bedeckt und dunstig, fast glauben Ursi und ich, das Petrus uns schon mal ein bisschen auf den schweizerischen Hochnebel trainieren will. Doch die Sonne behauptet sich beinahe und drückt immer mal wieder durch. Der Wind ist nur mässig und ohne das konstante Runterbrennen der frühsommerlichen Südhemisphären Sonne ist es gemütlich draussen zu sitzen. Lesen – auf Deck rumspazieren – in die Landschaft raus gucken – Schiffe beobachten – kurz mit Crew oder Passagieren ein Wort wechseln – wieder lesen – Essen – noch mehr essen – wieder lesen, wieder gucken, wieder plaudern… Ich muss sagen, mir gefällt diese, von vielen als langweilig beschriebene, Schifffahrt schon jetzt.

Ein riesiges Krokodil schwimmt kaum sichtbar flussaufwärts, in den Bambus Büschen wackelt es so, wie es nur kann wenn ein mächtiges Tier sich darin bewegt, über den Wipfeln der Bäume braust ein Flugsaurier mit länglichem Kopf und grimmiger Visage daher. Meine Phantasie entgleitet in meinen ganz eigenen Jurassic-Park, wenn mein Augen über das der ganzen Industrie gegenüberliegende, grüne Sumpfland schweifen.



Nachmittags treiben wir eine Stunde Sport im Fitnessraum. Da kann ich meine Phantasie schon wieder beflügeln, die prächtige Landschaft um den aargauischen Hallwilersee stell ich mir vor, während ich auf der Rudermaschine an die öde Wand glotze. Am Hallwilersee fuhr ich als Teenager of mit meinem Vater Kanu un noch früher hatte ich als Kind in den Schulferien mit meinem grösseren Bruder Stef gefischt. Wir zogen früh morgens los. Meine gelb-blaue Fischerrute liess sich nicht zusammenklappen und war am Stück. Mein Vater hatte sie mir einst im Tessin gekauft, nach dem ich als jüngster der vier Kinder immer nur mit einem an einem Haselstecken angebundenen Handfischzeugs gefischt hatte. Ich war unendlich stolz auf meine kleine gelbe Rute, nur eben die liess sich so schlecht auf dem Velo transportieren. Ich musste sie immer mit ein paar Schnüren entlang der Längsstange des Fahrrades befestigen. Stefan und ich brachen in unserem Dorf noch im Dunkeln auf und schon die Fahrt vom Wynen- ins Seetal war ein Erlebnis für sich. Die kurze Fahrt das Tal runter ins Nachbardorf war für eine ganze Weile die einzige Talfahrt. Dann kämpften wir uns hoch nach Dürrenäsch und erst dann ging‘s wieder talwärts. Eine kleine Strasse führte durch Felder und Wiesen, heute ist dort längst Fahrverbot. Damals führte uns dieser Weg direkt vorbei an einer mittelalterlichen Mühle mit Wasserrad zum Schloss Hallwil. Von dort wurde es immer ein bisschen kribbelig weil der Uferweg vom Schloss entlang dem Aabach bis zum Schiffsteg Seengen eigentlich Fahrverbot, selbst für Fahrräder, gewesen wäre. Aber ausser ganz selten einem frühen Hündeler der seinen Bello gassi führte, gab es da keine Menschen die uns das Fahren verderben konnten. Und wenn doch jemand komisch dreinschaute, traten wir einfach ganz heftig in die Pedale und bevor wir irgendwas verstehen konnten von dem was die Leute sagten waren wir schon weg. Witzig, jetzt sitz ich an dieser knirschenden und quietschenden, italienischen Rudermaschine und denke an die Tage an denen ich mit Stef am Hallwilersee gefischt hatte. Oder eigentlich bin ich erst auf dem Umweg dazu gekommen, da ich mir das Rudern auf eben diesem See vorstelle, statt die nackte Wand anzustarren. Die umliegenden Dörfer mit ihren Kirchtürmen die nie ganz genau miteinander die Stunden schlugen. Das kräftige Grün der Felder und Wälder, das leuchtende Gelb der Rapsfelder und das Gold des Korns im Herbst. So fällt es mir grad viel einfacher, das Rudern. Sonst ist es ein bisschen schwierig sich im dusteren, fensterlosen Raum zu motivieren.


In der dunstgefilterten Abendsonne gönnen Ursi und ich uns einen Apéro, draussen auf Deck. Schon bald gibt es wieder Abendessen. Wir plaudern mit den anderen Gästen, hören Olivier zu, der ohne seine Familie diese Reise gemacht hat und sehr mitteilungsbedürftig scheint. Zuhören ist schliesslich der wichtigste Teil einer Unterhaltung. „Wenn Du redest erzählst Du Dinge die Du schon weisst – wenn Du zuhörst kannst Du wo möglich etwas ganz neues lernen“ soll der Dalai-Lama mal gesagt haben.   


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